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Bodeneffektfahrzeuge: Von Seemonstern und „abgehobenen Schiffen“

Fahren? Fliegen? Gleiten!

Knapp über der Wasseroberfläche brausen sie dahin, befördern Personen oder Frachten in rasender Geschwindigkeit und setzen vor der Küste wieder im Wasser auf, um in Häfen einzulaufen. Sie sehen ungewöhnlich aus, ziehen alle Blicke auf sich und kombinieren die Vorteile von Flugzeugen und Schiffen: Die Rede ist von sogenannten Bodeneffektfahrzeugen. Wir haben uns diese spannenden Fahrzeuge angesehen, wundern uns über Sichtungen von „Seemonstern“ und erkunden, welches Potential diese „fliegenden Schiffe“ in der Logistik hätten.

Per Flugzeug oder Schiff – dies sind die Möglichkeiten, Frachten über große Wasserflächen zu befördern. Flugzeuge sind natürlich schnell, aber auch teuer. Schiffe zwar kostengünstiger, aber dafür recht langsam. Man kann ja nicht alles haben – oder doch?

Doch! Man kann: Hier kommen Bodeneffektfahrzeuge, auch „Ekranoplan“ (russische Bezeichnung) genannt, ins Spiel. Diese technischen Konstruktionen – halb Schiff, halb Flugzeug – machen sich ein faszinierendes physikalisches Prinzip zu Nutze. Beim Bodeneffekt gleiten Ekranoplane vergleichsweise mühelos in geringer Höhe übers Wasser und sind dabei durchschnittlich 30-50 % energieeffizienter als Flugzeuge gleicher Größe und zehnmal so schnell wie herkömmliche Schiffe.

Den Bodeneffekt nutzen

Doch warum fliegen (bzw. fahren) solche Fahrzeuge in so geringer Höhe über das Wasser? Was ist der Vorteil gegenüber dem Fliegen in großer Höhe oder dem „Fahren“ im Wasser?
Beim Bodeneffekt profitiert man von den speziellen Strömungsverhältnissen eines Tragflügels im bodennahen Bereich. Dabei wirken sich zwei Phänomene aus, die für weniger Widerstand, dafür aber mehr Auftrieb sorgen.

Erstes Phänomen: Unterbrechung der sogenannten „Wirbelschleppen“. An den Tragflächen eines Flugzeuges entstehen durch den Druckunterschied zwischen Ober- und Unterseite Wirbel, aus denen sich am Ende der Tragflächen Wirbelschleppen bilden. Die Luft strömt durch den Überdruck von der Unterseite um die Enden der Tragflächen nach oben und induziert eine abwärts gerichtete Kraft, die für einen großen Teil des Luftwiderstands verantwortlich ist. Diese Wirbelschleppe kann sich jedoch nur in der Luft ausbreiten und wird daher im Tiefflug vom Boden bzw. Wasser unterbrochen. So verringert sich der Widerstand und damit auch die für den Antrieb benötigte Energie. Im konkreten Fall führt dies sogar zu einer Senkung des Treibstoffverbrauchs.

Auf Luftpolstern übers Meer

Das zweite Phänomen sorgt für vorteilhaften Auftrieb: In Bodennähe wird die Luft unter den Tragflächen gestaut – es bildet sich eine „Luftrolle“, die sich mit dem Flugzeug mitbewegt und auf der es sozusagen gleiten kann. Der dynamische Auftrieb ist somit höher und steigert den Wirkungsgrad der Tragfläche. Auch dies macht den Bodeneffektflug wirtschaftlicher als den Flug in großen Höhen.

Beide Effekte zusammen erhöhen das Auftrieb-Widerstand-Verhältnis signifikant. Dadurch sind diese Fahrzeuge schnell und dabei auch noch kraftstoffsparend unterwegs.

Etwas ganz Neues?

Ist die Nutzung des Bodeneffekts also etwas ganz Neues? Nicht wirklich. Seevögel wie der Albatros machen uns schon lange vor, wie man diesen Effekt auf langen Strecken kräfte- bzw. energiesparend nutzt. Der Effekt tritt im Grunde genommen auch bei jedem startenden und landenden Flugzeug auf und ist Flugzeugkonstrukteuren bereits länger bekannt. Aber Bodeneffektfahrzeuge sind speziell darauf ausgelegt, diesen über größere Distanzen zu nutzen – und das nicht erst seit heute.

Die ersten reinen Bodeneffektfahrzeuge wurden ab den 1960er Jahren vor allem in der Sowjetunion entwickelt.

Kaspisches Seemonster sorgt für Rätselraten

Das wohl berühmteste Bodeneffektfahrzeug war das „KM“ (russische Abkürzung für Schiffsentwurf). Dieser Gigant wurde vom sowjetischen Schiffs- und Flugzeugkonstrukteur Rostislaw Jewgenjewitsch Alexejew 1964 entworfen. Es hatte eine vergleichsweise geringe Spannweite von rund 40 Metern, eine Länge von über 100 Metern, eine Nutzlast von 280 Tonnen und ein Gesamtgewicht von rund 540 Tonnen. Damit war es doppelt so schwer wie das schwerste Flugzeug dieser Zeit und bis 1988 (Erstflug der unlängst in der Ukraine zerstörten An-225 Mriya) unübertroffen. Zehn Strahltriebwerke trieben es an, acht davon konnten nach dem Start für den Flug knapp über der Wasseroberfläche abgeschaltet werden. Mit 400-500 km/h raste es über das Kaspische Meer, war jedoch äußerst träge, schwer lenkbar und hatte deshalb einen extrem großen Wendekreis. Zudem konnte es bei schlechtem Wetter bzw. zu hohem Wellengang nicht eingesetzt werden.

Militärisch gesehen hatte das KM neben der hohen Geschwindigkeit und Nutzlast den Vorteil, dass es während des Flugs keinen Tiefgang hatte. Somit wurde es nicht vom Sonar gegnerischer Schiffe erfasst und unterlief aufgrund der geringen Flughöhe zur damaligen Zeit auch oft das Radar.

Die westlichen Geheimdienste gaben dem unbekannten Meeresfahrzeug, das sie in den 1960ern auf Satellitenfotos entdeckten, den Beinamen „Kaspisches Seemonster“ und waren anfangs ratlos. Erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gerieten mehr Details und Informationen an die Öffentlichkeit und westliche Experten zeigten sich begeistert.

Die Zukunft ruft

In den 1970er Jahren wurden auch im Westen reine Bodeneffektfahrzeuge entworfen, getestet und weiterentwickelt. Vor allem in Deutschland gab es gute Ergebnisse, wenngleich in wesentlich kleinerer Form. Zwischenzeitlich wurde es wieder etwas stiller um diese Fahrzeuge, doch zuletzt beschäftigen sich erneut mehrere Unternehmen mit deren Weiterentwicklung, um sie den aktuellen Ansprüchen anzupassen. Neben dem deutschen „Seafalcon“ und dem koreanischen „Wingship“ arbeitet man in Singapur mit dem „Airfish 8“ an dem Ziel, die Nutzung von Bodeneffektfahrzeugen weiterzubringen. Und auch das „Tandem Airfoil Flairboat“, von dem der deutsche Ingenieur Günther Jörg in den 1970er Jahren mehrere Prototypen baute, wird wieder neu aufgelegt.

Seegestützte Luftfracht oder luftgestützter Seetransport?

Die zahlreichen Vorteile machen diese „fliegenden Schiffe“ aber auch für den Transport von Gütern interessant. Die Vorteile: höhere Geschwindigkeit als Schiffe, kraftstoffsparend und dadurch durchschnittlich 30-50 % günstiger im Betrieb als vergleichbare Flugzeuge. Die Infrastrukturanforderungen sind aber vergleichbar mit denen eines Bootes, werden Bodeneffektfahrzeuge doch als Wasserfahrzeug klassifiziert. Passende Landebahnen und etwaige Nachtflugverbote betreffen Ekranoplane einfach nicht. Auf diese Weise könnten Waren rasch und kostengünstig – beispielsweise als Zubringerdienste – an Küstenorte weltweit geliefert werden.

Eine ambitionierte Firma arbeitet bereits mit Hochdruck an dieser Vision – und das sogar mit einem unbemannten Modell. Das US-Unternehmen Flying Ship Technologies hat 2021 den ersten großen Auftrag für seine Flying Ships „an Land gezogen“. Für rund 100 Mio. US-Dollar sollen 20 Fahrzeuge bis 2024 an ein global agierendes Unternehmen aus Europa geliefert werden. Es wäre der erste Schritt in die mögliche Zukunft der Frachtbeförderung – zunächst natürlich noch in relativ kleinem Maßstab, aber dennoch beeindruckend. Dass anfangs dabei die gleiche Transportkapazität wie bei einer An-124 oder A-380 befördert werden kann, war aber auch gar nicht das Ziel.

Ein unbemanntes „Flying Ship“

Nicht auf Größe, sondern Wendigkeit, Geschwindigkeit und Effizienz ausgelegt, wird die Basisversion des Flying Ship von vollelektrischen Motoren angetrieben, verfügt über eine Reichweite von ca. 550 km (300 Seemeilen) und eine Frachtkapazität von 1,2 Tonnen. Künftige Versionen sollen auch alternative, grüne Antriebstechnologien nutzen, um die Reichweite auf etwa 1.800 km (1.000 Seemeilen) und die Nutzfracht auf 2,7 Tonnen zu erhöhen. Diese Modelle sollen dann auch den Schritt vom halb- zum vollautomatischen Betrieb machen. Wir sind bereits gespannt!

Egal ob als Inseltaxi, Fähre oder Frachtmaschine genutzt – Einsatzmöglichkeiten gibt es viele und wir können gespannt sein, wie viel Fahrt Bodeneffektfahrzeuge in Zukunft aufnehmen werden.

Ein "fliegendes Schiff" im Einsatz