Kontakt Flappe öffnen
Fliegen ohne Piloten ist nicht verboten

Wenn der Flugzeugbauch für Auftrieb sorgt

Ein Start-Up-Unternehmen aus den USA will mit einem bereits länger bekannten, aber dennoch innovativen Konzept den Luftfrachtmarkt erobern. Das Smarte daran: Die unübliche Form der Flugzeuge soll mehr Platz für Fracht bieten – und das ohne Crew. Ob die Branche durch diesen „Blended Wing Body“ auf den Kopf gestellt wird, ist derzeit noch offen. Ein großes Interesse ist ihnen aber sicher und einige Investoren sind bereits von der Idee überzeugt. Wir werfen einen genauen Blick auf sogenannte „Nurflügelflugzeuge“, ihren deutschen Vorläufer im 2. Weltkrieg sowie den aktuellen Überflieger namens „Natilus“.

„Nurflügelflugzeug“ oder „Nurflügler“ ist die Bezeichnung für Flugzeuge, bei deren Konstruktion sowohl auf ein Höhenleitwerk als auch auf ein Seitenleitwerk verzichtet wird. Diese Konstruktionsweise unterscheidet sich stark vom „konventionellen“, uns nur allzu vertrauten Zugang einer „Röhre mit Flügeln dran“. Doch statt dieses vertrauten Rumpfquerschnitts, befinden sich beim „reinen“ Nurflügelflugzeug alle wichtigen Komponenten wie Antrieb, Fahrwerk, Treibstoff, Fracht und Besatzung innerhalb des Tragflügels.

Der Rumpf hilft beim Abheben

Eine andere Unterkategorie namens „Blended Wing Body“ (BWB, in Englisch etwa für „übergangslose Flügel-Rumpf-Verbindung“) stellt ein etwas abgewandeltes Flugzeugkonzept dar. Er zeichnet sich durch einen abgeflachten, aerodynamisch geformten Rumpf aus, der sich zwar von den Flügeln klar abgrenzen lässt, dessen Form jedoch fließend in die Flügelform übergeht. Der Rumpf hat hierbei einen relevanten Anteil am Auftrieb des Flugzeuges. Doch das ist nicht der einzige Vorteil: Das Konzept verspricht auch eine bessere Aerodynamik und – verbunden mit dem vorteilhaften Auftrieb – eine entsprechende Steigerung der Effizienz im Betrieb. In Zeiten, die von hohen Energiekosten und dem Wunsch nach CO₂-Reduktion geprägt sind, ist die Treibstoffersparnis keineswegs zu vernachlässigen.

Vermeintliche Wunderwaffe des Dritten Reichs

Bereits 1910 ließ sich der legendäre Flugzeugenkonstrukteur, Hugo Junkers, den Entwurf in Deutschland patentieren. Doch auch andere Länder arbeiteten in der Zwischenkriegszeit an dem Konzept. Während des Zweiten Weltkriegs erfuhr die Entwicklung dieses Flugzeugtypus eine markante Weiterentwicklung, welche in Deutschland zur Entwicklung der Horten H IX führte. In den letzten Kriegstagen wurde fieberhaft an dem, selbst für heutige Verhältnisse, futuristischen Flugzeug gearbeitet. Erste Testflüge bescheinigtem dem Flugzeug tolle Flugeigenschaften und bewiesen die Umsetzbarkeit des „Nurflüglers“.

Direkt nach dem Kriegsende griffen die Siegermächte diese Konzepte auf und es entstanden mehrere Testflugzeuge in dieser Konfiguration. Mit der Northrop YB-35 sowie ihrer Weiterentwicklung Northrop YB-49 entwickelten die USA nach dem Kriegsende ihre eigenen „Horten-Kopien“. Dennoch wurde der reine Nurflügel bis zur Einführung der geheimnisumwitterten Northrop B-2 niemals wirklich serienreif. Der Anfang der 1990er Jahre präsentierte B-2-Bomber ist bis heute ein faszinierendes Fluggerät: ein riesiger schwarzer Flügel, der obendrein für das Radar „unsichtbar“ ist. Es zeigt sich, wie so oft ist das Militär Treiber neuer Technologien, doch nun macht sich ein US-amerikanisches Unternehmen daran, eine zivile Variante zur „Marktreife“ zu bringen.

Ein Start-Up möchte Fracht bewegen

Obwohl Russland aktuell auch an dieser Flugzeugform forscht und Airbus einen Entwurf für einen entsprechenden Wasserstoffflieger vorgestellt hat, will nun ein Startup namens Natilus durchstarten und macht sich konkret daran, unbemannte Frachter zu bauen. Denn obwohl man auch Passagiermaschinen in Nurflügel-Konfiguration bauen könnte, gibt es ein Manko: die fehlende oder zumindest stark eingeschränkte Möglichkeit, Seitenfenster für Passagiere anzubringen. Natilus macht aus dieser „Schwäche“ eine Stärke und erkennt hierbei die Vorteile für den Frachttransport. Geplant sind mehrere Flugzeugmodelle, doch zuerst möchte man „klein“ anfangen: Das erste Modell namens „3.8T“, bei dem die Flügel sich am deutlichsten vom Rumpf abgrenzen, soll ein maximales Startgewicht von 8.6 Tonnen haben und bis zu 1.600 Kilometer weit fliegen können. Der Flieger fasst Fracht mit einem Gesamtgewicht von bis zu 3.855 Kilogramm, womit die Namenswahl des Modells bereits erklärt wäre.

Die "Natilus 3.8T" sorgt für Staunen

Extrem sparsam und dabei auch noch autonom

Falls sich der Betrieb bewährt (und bei passender Geschäftsentwicklung) sind in weiterer Folge größere Varianten namens 60T, 100T und 130T geplant. Zum Vergleich: 130 Tonnen Nutzlast wäre in etwa so viel, wie eine moderne Boeing 747-8 F derzeit transportieren kann, und 20 Tonnen weniger, als eine An-124 in ihrem Bauch unterbringt. Die Natilus-Flugzeuge sollen durch die eingangs erwähnten Vorteile bei der Bauweise und die Verwendung von modernsten Verbundwerkstoffen ungefähr 60 Prozent mehr Frachtvolumen als konventionelle Flugzeuge bieten – und das bei gleichem Eigengewicht. Zudem stellt das Startup in Aussicht, dass sich die Gesamtbetriebskosten und die CO₂-Emissionen um 50 Prozent verringern sollen.

Eine weitere revolutionäre Neuerung: Die Flugzeuge sollen autonom mit einer Autopilot-Software unterwegs sein, aber von einem menschlichen Piloten in einem Kontrollzentrum überwacht werden, der jeweils bis zu drei Maschinen beaufsichtigt und eingreifen kann. In gewisser Weise handelt es sich also um Drohnen.

Am Anfang Zubringerdienste

Das Einsatzgebiet ist anfangs klar definiert: Die Firma sieht den 3.8T als eine Art „Zubringer“-Frachter, der sich darauf konzentriert, regionale Nischenmärkte mit einer größeren Lieferkette zu verbinden. Das Flugzeug könnte beispielsweise die Anbindung an einige Regionen in Afrika verbessern bzw. kleine Inselstaaten besser erschließen. Außerdem plant Natilus, die Flugzeuge so zu konstruieren, dass sie keine langen Landebahnen brauchen und auch von unbefestigten Pisten starten können. 
Sie könnten aber auch dort zum Einsatz kommen, wo wegen der geografischen Gegebenheiten die sonstige Infrastruktur schlecht ist, Hier könnte ein Flugzeug eine Strecke, für die ein LKW Tage brauchen würde, in wenigen Stunden bewältigen.

Wird es 2025 soweit sein?

Bisher hat Natilus noch nicht viel mehr vorzuweisen als ein erfolgversprechendes Konzept und Visualisierungen am Computer. Einen Prototyp gibt es noch nicht – dieser soll 2023 folgen und erste Testflüge absolvieren. Natilus plant, seine Flugzeuge ab 2025 an seine Luftfracht-Kunden auszuliefern. Dafür gibt es, laut eigenen Angaben, bereits Vorbestellungen in Höhe von mehr als 6 Milliarden US-Dollar für die Lieferung von mehr als 440 Flugzeugen. Dass dies nicht gänzlich aus der Luft gegriffen ist, bestätigt ein aktueller Marktbericht, der das Potential für autonome Frachtflugzeuge auf mehr als 280 Milliarden US-Dollar schätzt.

Aleksey Matyushev, Gründer und CEO von Natilus, stellt seine Kalkulation folgendermaßen vor: „Heute gibt es nur zwei Möglichkeiten, Fracht international zu transportieren: per Flugzeug oder per Schiff. Der Unterschied zwischen den Kosten und dem Zeitaufwand für diese beiden Transportarten ist dramatisch. Seefracht ist derzeit 13-mal günstiger als Luftfracht, aber 50-mal langsamer in der Zustellung. Unsere Firma beabsichtigt, die Branche zu revolutionieren, indem sie die Verlässlichkeit der Luftfracht bei einer erschwinglichen Kostenreduzierung von 60 Prozent bietet, wodurch der Luftfrachttransport wesentlich wettbewerbsfähiger wird.“

Ob diese Rechnung aufgeht, wird sich demnächst zeigen. Wir drücken dem spannenden Projekt auf jeden Fall die Daumen und freuen uns bereits auf die „Pizzaschnitten“ am Himmel…