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Jan Krems, Präsident von United Cargo, im Gespräch

„...kulturelle Vielfalt in eine Stärke verwandeln, nicht in ein Hindernis“

United Cargo bietet seinen Kunden die Frachtkapazität des umfassendsten Routennetzwerks der Welt - 4.800 Flüge täglich zu 353 Flughäfen auf fünf Kontinenten, mit einer Flotte von mehr als 770 Flugzeugen, einschließlich über 180 Großraummaschinen. cargo-partner und United Cargo blicken auf eine lange Partnerschaft zurück - wir haben dies zum Anlass genommen, um mit Jan Krems über neue Entwicklungen in der Luftfracht, den anhaltenden E-Commerce-Boom, Vorteile kultureller Diversität und das bestehende Interesse an Frachtpartnerschaften mit anderen Carriern zu sprechen.

„Die Digitalisierung, zusammen mit technologischer Innovation und Investition, ist ein Muss für Frachtführer, die ihren Nutzen aus dem E-Commerce-Boom maximieren möchten. Man kann getrost annehmen, dass dieser Trend weitergehen wird, denn die konsumorientierte Mittelschicht wächst in den Schwellenländern.“

Jan Krems sieht großes Potenzial in der Zukunft der Luftfracht. 

Interviewer: Vor knapp einem Jahr starteten United Airlines und die deutsche Lufthansa Cargo ihre lange erwartete transatlantische Partnerschaft. Seit Mai 2018 verwalten die beiden Frachtführer gemeinsam Vertrieb und Buchung von Standard- sowie Expresssendungen zwischen Europa und den USA. Können Sie das erste Jahr zusammenfassen und uns erzählen, ob sich die Kooperation bewährt hat? Können Sie sich weitere Partnerschaften wie diese mit anderen Frachtführern vorstellen?

Jan Krems: Am 3. Mai feierten wir das einjährige Jubiläum unseres Joint Ventures für Luftfracht mit Lufthansa; es war ein Jahr, in dem große Erwartungen erfüllt wurden. Angesichts der Größe und des Umfangs dieses Projekts bot sich eine phasenweise Durchführung an, daher wurde das Joint Venture in mehreren Stufen im Laufe des Jahres 2018 umgesetzt. Nun bietet es KundInnen größere Flexibilität und Schnelligkeit auf mehr als 1.500 Routen. Der nächste Meilenstein ist der Start von Phase 5, die den geografischen Handlungsrahmen unseres Joint Ventures um mehr Städte in Osteuropa erweitern wird.

Ich denke, dass die Kooperation sich allein wegen der Vorteile bewährt hat, die sie unseren KundInnen bringt: Zusätzliche Möglichkeiten, schnellere Verbindungen und kürzere Transportzeiten in einem ausgedehnteren Netzwerk zwischen den USA und Europa. Persönlich bin ich sehr zufrieden damit, wie gut unser Personal und unsere Teams zusammenarbeiten und einander mögen: Über 1.000 Kolleginnen und Kollegen der beiden Partner haben kooperiert, um die Vorteile des Joint Ventures (JV) zu schaffen. Dieser Erfolg und diese Freundschaft sind kein Zufall: Dazu kam es, weil wir uns alle dazu verpflichteten, flexibel und aufgeschlossen zu sein und kulturelle Vielfalt in eine Stärke zu verwandeln, nicht in ein Hindernis.

Das erste Fracht-Joint-Venture von United, zusammen mit ANA, nähert sich seinem dritten Jahrestag. Die UA-ANA Frachtkooperation begann im Juli 2016 mit Flügen nach Osten, von Japan in die USA und nach Kanada; Routen nach Westen kamen im Februar 2018 dazu. In Richtung Osten wurden im Mai 2018 Routen von Japan nach Mexiko hinzugefügt, sodass das Netzwerk des UA-ANA-Fracht-JV nun 377 Nonstop-Flüge pro Woche an 16 Zielorte umfasst, darüber hinaus gibt es zusätzliche Flug- und LKW-Verbindungen. Der nächste geplante Schritt für das UA-ANA-Fracht-Joint-Venture ist das Eingliedern von Singapur in unser JV-Netzwerk.

Aufgrund der Erfolge, die wir verzeichnen konnten, besteht unsererseits weiterhin Interesse an der Entwicklung der Idee von Fracht-Kooperationen in anderen Regionen. Jedoch müssten wir einen Partner finden, dessen starkes Netzwerk, Leistungen und Personal sich gut mit unseren vereinigen lassen – genau so, wie es bei Lufthansa und ANA der Fall war.  

United Cargo und cargo-partner sind ebenfalls durch eine enge und langjährige Partnerschaft verbunden. Wie sehen Sie die Kooperation zwischen den beiden Unternehmen – und wie unterscheidet sich die Arbeit mit einem mittelgroßen Logistikanbieter wie uns von der Arbeit mit den „Riesen“ der Branche?

Für uns bei United Cargo spielt die Größe des Logistikpartners keine Rolle – viel wichtiger ist die Art der Beziehung, die das Unternehmen aufbauen will. Unser Ziel war es seit jeher, beidseitig vorteilhafte Beziehungen auf Vertrauen aufzubauen – indem wir mit unseren Partnern den Eifer zuzuhören teilen, ebenso wie die Leidenschaft, zum Erfolg des anderen beizutragen. Natürlich wissen wir ganz unabhängig von den transportierten Tonnagen der Partner, dass wir uns unablässig darauf konzentrieren müssen, beständige, hochqualitative Leistungen an allen unseren weltweiten Standorten zu erbringen. 

Unsere Leidenschaft und unsere Absicht ist es, beidseitig vorteilhafte Beziehungen aufzubauen und zu erhalten, die langfristig bestehen können. Glücklicherweise haben wir bei United Cargo mehrere solche langjährigen Freunde, zu denen insbesondere cargo-partner zählt. Für uns ist jeder einzelne dieser Freunde sehr wichtig!

United ist ein klassischer Belly-Carrier und steht damit in Konkurrenz zu reinen Frachtführern. Wie schätzen Sie diese Situation ein und würden Sie es im Fall von United als Vorteil sehen, dass der Hauptertrag dem Passagiergeschäft entstammt? (Andernfalls gründen alle strategischen Entscheidungen auf dem Passagiergeschäft, sodass nur noch vergleichsweise wenig Flexibilität vorhanden ist.)

Wie bei den meisten Entscheidungen, die wir im Geschäfts- oder Privatleben treffen, gibt es Vor- und Nachteile. Vorteilhaft ist es für uns als Belly-Carrier, neben den von Ihnen genannten Kosten- und Ertragsaspekten, dass wir KundInnen häufigere Abflüge an zahlreichere Zielorte anbieten können als die üblicherweise durch Frachtflugzeuge angeflogenen Zielmärkte. Bei United können wir KundInnen die Frachtkapazität des weltgrößten Routen-Netzwerks bieten – 4.800 Flüge pro Tag an 353 Flughäfen auf fünf Kontinenten, betrieben mit einer Flotte von über 770 Flugzeugen, darunter mehr als 180 Großraumflugzeuge.

Aber wie Sie schon sagten, Entscheidungen über das Netzwerk des Passagierverkehrs basieren nicht alleine auf dem Bedarf an Frachttransport, daher werden reine Frachtunternehmen weiterhin Märkte für ihre Leistungen finden. Ein Großteil ihres Erfolgs hängt davon ab, wie schnell und agil sie auf Änderungen auf dem Markt reagieren können. Das richtige Timing des Zeitplans und das passende Flugzeug für die Nachfrage sind Schlüsselfaktoren – und diese wesentlichen Entscheidungen liegen für gewöhnlich nicht in den Händen von Belly-Carriern. Hier haben wir erneut eine dieser Kombinationen aus Vor- und Nachteil! 

Im Bereich des Passagiertransports hat sich die Luftfrachtbranche in den letzten zehn Jahren gewandelt: Flugstatus-Updates in Echtzeit, moderne Online-Buchungssysteme, Selbstbedienungs-Check-In, hohe Transparenz für Passagiere und die Abschaffung von Papiertickets und der damit verbundenen Prozesse. Andererseits wird der Luftfrachtbranche ein Nachhinken in Digitalisierungsfragen nachgesagt, da immer noch mit ausgedruckten Luftfrachtbriefen u. Ä. gearbeitet wird. Wie hoch würden Sie den Bedarf an Innovation einschätzen?

Ich halte es für absolut essenziell, dass wir in der Luftfrachtbranche im Bereich der Innovation einen Zahn zulegen. Das beste Beispiel für die möglichen Nutzen der Digitalisierung und das Risiko ausbleibender Prozessinnovation ist das rasche Wachstum des E-Commerce. Ich habe gelesen, dass sich der Transport des elektronischen Handels bis 2020 jährlich auf über 100 Milliarden Pakete im Wert von 4,8 Billionen beziffern wird. Für die Luftfracht ist daran positiv, dass KundInnen diese Güter schnell wollen, sodass der Luftweg die beste Option ist und die Konkurrenz von langsameren Transportwegen verringert wird. 

Frachtführer, die wie United mit zentralen Knotenpunkten im Netzwerk arbeiten (Hub-and-Spoke-System), verfügen bereits über die Routenstruktur, Kapazität, die Abläufe und die Expertise, um Produktionsstätten und Konsumenten in bestehenden und sich entwickelnden Regionen zu verbinden. Aber die Herausforderung, vor der die Branche steht, ist die Kundenerwartung bezüglich lückenloser Sendungsverfolgung und Transparenz, Störungswarnungen, beschleunigter Zollabfertigung und genau vorhersehbarer Lieferzeiten. Das bedeutet, dass die Digitalisierung, zusammen mit technologischer Innovation und Investition, ein Muss für Frachtführer ist, die ihren Nutzen aus dem E-Commerce-Boom maximieren möchten. 

Eine der höchsten Prioritäten von United Cargo für 2019 ist unsere Strategie des digitalen Wandels, deren Ziel die Verbesserung aller unserer digitalen Kanäle sowie der Kundenerfahrung damit ist. Die grundsätzliche Frage, die wir beantworten möchten, lautet: Wie können wir unsere derzeitigen Stärken mit neuen, kreativen Nutzungsformen von Technologie und Prozessoptimierung kombinieren, um effektive – und hinsichtlich der Kosten wettbewerbsfähige – Transportlösungen für den E-Commerce und unser restliches Produktangebot zu schaffen? 

„Es ist noch unklar, wie groß die Bedrohung durch die ‚Neue Seidenstraße‘ für die Luftfracht sein wird – die langfristige Rentabilität des Geschäftsmodells ist nicht bekannt.“

Über die Möglichkeit, dass die Neue Seidenstraße eine beliebte Alternative zu See- und Luftfracht werden könnte. 

Der Erfolg der Luftfrachtbranche ist größtenteils auf den schnellen Transport von Gütern angewiesen; kein Frachtschiff weltweit könnte mit diesem Vorteil mithalten. Jedoch mag dieser einzigartige Vorteil, dringende Güter innerhalb kurzer Zeit an einen bestimmten Ort auf der Welt zu bringen – beispielsweise um einen Produktionsstillstand zu verhindern – mit der fortschreitenden Entwicklung des 3D-Drucks ein Ende nehmen. Manche Beobachter sprechen sogar vom Ende der Luftfracht – was sagen Sie zu dieser spannenden Entwicklung?

Es besteht kein Zweifel, dass der 3D-Druck eine faszinierende Technologie darstellt und das Potenzial hat – „Potenzial“ ist hier das Schlüsselwort –, einen bedeutenden Einfluss auf viele Branchen, darunter die Luftfracht, zu nehmen. Wie auch andere Technologien, deren Nutzung und Anwendung sich noch in frühen Entwicklungsphasen befinden, wird auch der 3D-Druck eine Wirkung hervorrufen. Jedoch können wir nicht sicher vorhersagen, in welchem Ausmaß und wann dies passieren wird. Wenn ich das Aufkommen und die von United Cargo derzeit transportierten Waren betrachte und überlege, welche dieser Waren möglicherweise demnächst 3D-gedruckt werden können, so erwarte ich in der nächsten Zeit keinen großen Einfluss auf das Luftfrachtaufkommen.

Neben dem 3D-Druck scheint momentan der Warentransport mithilfe von Drohnen in aller Munde. Sehen Sie diese kleinen Verwandten der Luftfrachtbranche als potenzielles Transportmittel für den ersten oder letzten Kilometer? Zu welchem Zeitpunkt wird dies in Ihren Augen eine realistische Option sein?

Meine geäußerte Unsicherheit in Bezug auf den 3D-Druck gilt auch für Drohnen. Auch hier handelt es sich um eine Entwicklung mit potenziell großer Wirkung, doch damit einher geht die Unsicherheit darüber, wie Vorschriften ihre Verbreitung beeinflussen werden. Aktuell gibt es eine begrenzte Zahl von Drohnen, die Pakete transportieren, und diese werden großteils in entlegenen Gebieten angewendet. Was jedoch bedacht werden muss, sind die Sicherheitsaspekte tausender Lieferdrohnen, die in Stadtgebieten umherfliegen. Es ist ein bisschen wie in der Zeit der ersten Autos, als nur einige wenige herumtuckerten und die Pferde erschreckten. Mit der steigenden Zahl der Autos vervielfachten sich auch die damit verbundenen Vorschriften. Es mussten erst viele Hindernisse überwunden werden und viel Zeit vergehen, bis der Punkt erreicht wurde, ab dem Millionen Menschen täglich sicher herumfahren konnten.

Apropos Trends und Herausforderungen im Bereich der Luftfracht – welche sind heute die wichtigsten und welche werden es morgen sein? Außerdem, in Vorausschau auf „übermorgen“ – wo sehen Sie die Luftfracht in, sagen wir, 20 Jahren? Wird es besondere Herausforderungen für reine Frachtführer geben?

Einen der größten Trends haben wir bereits besprochen – das Wachstum des E-Commerce mit seinen Chancen und Schwierigkeiten für die Luftfracht. Nicht nur E-Commerce-, sondern auch Business-to-Business-KundInnen wünschen sich bei der Buchung und Sendungsverfolgung rundum digitalisierte Vertriebs- und Kundenservice-Erfahrung. Selbstbedienungsoptionen und papierlose Abläufe sind nicht mehr nur eine Option, sie werden zu einer Notwendigkeit. 

Ich glaube an ein Wachstum der Luftfracht in den nächsten 20 Jahren, weil ich an diese Branche und ihre Menschen glaube! Außerdem denke ich, dass die Marktgegebenheiten unserer Branche positiv sind. Das Wachstum des Handels ist dort am größten, wo Waren mit größerer Wahrscheinlichkeit auf dem Luftweg transportiert werden – beispielsweise bei Medikamenten, verderblicher Ware, Computern und Elektronik für Verbraucher. Man kann getrost annehmen, dass dieser Trend weitergehen wird, denn die konsumorientierte Mittelschicht wächst in den Schwellenländern.

Es gibt in unserer Branche immer Platz für Verbesserungen, Veränderung und Innovation treten nicht immer so schnell ein wie erhofft. Aber wir haben in jüngster Vergangenheit gelernt, dass die Luftfrachtbranche sehr gute Chancen hat, von der Zunahme des Welthandels zu profitieren, vorausgesetzt wir werden mit keinen unvorhergesehenen regulativen oder politischen Hürden konfrontiert.

China verstärkt im Moment seine Bemühungen in Bezug auf die „Neue Seidenstraße“: Die Ausdehnung der Schienenverbindung durch Zentralasien und Russland ist allein schon aufgrund ihrer Geschwindigkeit beeindruckend. Könnte der Bahntransport in manchen Bereichen zu einer Umverteilung der globalen Warenströme zwischen See- und Luftfracht führen?

Wir sind uns stets der Herausforderungen aufgrund anderer Verkehrsmittel bewusst, und dieses scheint einige kostenbezogene Vorteile zu bieten. Es ist noch unklar, wie groß die Bedrohung durch die „Neue Seidenstraße“ für die Luftfracht sein wird – die langfristige Rentabilität des Geschäftsmodells ist nicht bekannt. Jedoch glauben wir größtenteils, dass unsere KundInnen weiterhin die Vorzüge der Luftfracht – Schnelligkeit, Sicherheit und Kontrolle – schätzen und bereit sein werden, einen höheren Preis dafür zu zahlen.