Kontakt Flappe öffnen
Kommt der Langstrecken-Großraumfrachter aus Europa zur richtigen Zeit?

Airbus‘ künftiges Arbeitspferd: Der A350F

Der europäische Flugzeughersteller Airbus hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Das Unternehmen will einen Marktanteil von 40 bis 60 Prozent im Frachtersegment erreichen und damit die Marktmacht von Boeing brechen. Bislang hat Airbus bei seinen Frachtern vor allem auf die Umrüstung alter Passagierflugzeuge gesetzt. Doch was ist der Grund für den Start des neuen Frachterprogramms und wie könnte sich der Wettlauf zwischen Airbus und Boeing in diesem speziellen Bereich entwickeln? Wir werfen einen genaueren Blick auf das neue Frachtflugzeug von Airbus, den aktuellen „Frachter-Boom“ und die verhaltenen Bedenken mancher Brancheninsider.

Der aktuelle Frachterwettlauf zwischen den beiden Flugzeugherstellern Airbus und Boeing begann im Sommer 2021, als Airbus den Start des A350F-Programms ankündigte. Das Frachtflugzeug A350F wird in Toulouse gebaut und soll im Herbst 2025 zu seinem ersten kommerziellen Flug abheben. Airbus gibt die maximale Nutzlast der A350F mit 109 Tonnen an – die Nutzlast, die jedoch tatsächlich für Fracht genutzt werden kann und somit Einnahmen generiert, dürfte aber womöglich um einige Prozent abweichen.
Um die A350F weiter zu optimieren, wird die Hauptladeluke des Flugzeugs direkt hinter den Tragflächen platziert, um das Flugzeug während der Beladung im Gleichgewicht zu halten. Airbus plant außerdem den Einbau einer spezifisch zugeschnittenen Version der bisher üblichen Rolls-Royce-Triebwerke mit zusätzlicher Leistungssteigerung.

Boeing wirft sich ins Rennen

Boeing hat nun nachgezogen. Das US-amerikanische Unternehmen plant seine 777-8F spätestens 2027 auf den Markt bringen. Erste Eckdaten deuten auf einen ebenbürtigen Wettbewerb hin: Bei nahezu gleicher Länge beider Flugzeuge beziffert Boeing die effektive Nutzlast seines Flugzeugs mit 112,3 Tonnen und liegt damit leicht über der von Airbus. 766 Kubikmeter Ladevolumen sprechen für die 777-8F, während der Laderaum der A350F 695 Kubikmeter umfasst. Doch Airbus punktet mit ganz anderen Stärken...

Umweltfreundlich – für ein Flugzeug ...

Airbus behauptet, dass die A350F das umweltfreundlichste Frachtflugzeug auf dem Markt sei. Mehr als 70 % des Flugwerks der A350F besteht aus neuen Materialien, was zu einem um 30 Tonnen niedrigeren Startgewicht führt. Nach Angaben von Airbus verbraucht die A350F etwa 40 % weniger Kerosin als die Boeing 747-400F des Konkurrenten und etwa 20 % weniger als die Boeing 777F.

Insbesondere der versprochene geringere Treibstoffverbrauch der A350F könnte Airbus nun bei den Treibhausgasemissionen und damit bei den Betriebskosten in die Hände spielen. Neben den extrem hohen Treibstoffkosten steht der gesamte Luftfahrtsektor unter dem zunehmenden Druck von Politik und Öffentlichkeit, seinen ökologischen Fußabdruck drastisch zu reduzieren. Dies zeigt sich unter anderem an der dynamischen Diskussion über nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF), Konzepte für wasserstoffbetriebene Flugzeuge oder aerodynamisch geformte Flugzeugkonzepte.

Mehr als ein Jahr nach dem offiziellen Programmstart liegen für die A350F 31 fixe Bestellungen vor, darunter vier Flugzeuge für Air France, sieben Flugzeuge für Etihad und sieben Flugzeuge für Singapore Airlines. Das sind nur sieben Aufträge weniger als für das erfolglose Vorgängermodell A330-200F insgesamt verzeichnet wurden. Um das ehrgeizige Ziel von Airbus, einen Marktanteil von 40-60 Prozent zu erreichen, bleibt dennoch einiges zu tun.

Die Zeit ist reif

Infolge des COVID-19-Ausbruchs im Jahr 2020 und der weitreichenden Flugbeschränkungen für Passagierflugzeuge mussten die Fluggesellschaften ihre Strategien ändern. Zu Beginn der Krise bestand das Ziel darin, medizinische Hilfsgüter, Gesichtsmasken und andere Schutzmaterialien so schnell wie möglich über ganze Kontinente zu verteilen. In den folgenden Monaten wurde die Luftfracht als Alternative genutzt, wenn Seeschifffahrtsrouten oder Häfen überlastet waren, wie z. B. während des Unfalls der Ever Given im Suezkanal.  Dies wiederum führte zu einem noch nie dagewesenen Ansturm auf Luftfrachtverbindungen, insbesondere in den Jahren 2020 und 2021.

Frachter-Boom in der Luftfrachtbranche

Derzeit ist in der Luftfahrtindustrie ein deutlicher Trend zu mehr Frachtflugzeugen zu beobachten, um die wachsende Nachfrage nach Luftfrachtkapazitäten zu decken. In seinem jüngsten Commercial Market Outlook für die nächsten 20 Jahre bestätigt Boeing diesen Trend und prognostiziert ein schnelleres Wachstum des Frachtgeschäfts im Vergleich zum Passagiergeschäft. Viele Lieferketten sind aufgrund der Pandemie und ihrer Auswirkungen nach wie vor unterbrochen, sodass viele Komponenten für Schlüsselindustrien immer noch auf dem Luftweg transportiert werden. Mit fehlenden Kapazitäten russischer Fluggesellschaften und zusätzlich umgeleiteten oder gestrichenen Flügen hat die russische Invasion in der Ukraine die weltweite Luftfrachtkapazität ebenfalls erheblich reduziert. Und schließlich treibt das jüngste Wachstum des E-Commerce die Kapazitätsnachfrage noch weiter in die Höhe.

Volle Auftragsbücher für Hersteller

Infolgedessen sind Frachtflugzeuge wieder sehr populär geworden. Zu Frachtflugzeugen umgerüstete Passagierflugzeuge oder „Preighters“ sind die Haupttriebkraft des Kapazitätsbooms. Etwa zwei Drittel der neu auf den Markt kommenden Frachter werden umgerüstete Passagierflugzeuge sein.

Darüber hinaus weisen die Großraumflugzeuge von Airbus und Boeing einen starken Anstieg des Auftragsvolumens auf. Fluggesellschaften, die vor COVID-19 Frachtgut hauptsächlich als Beiladefracht transportiert haben, bestellen aufgrund ihrer geänderten Flottenstrategie nun verstärkt Frachter. Lufthansa Cargo hat die Kapazität ihrer Großraumfrachterflotte durch die Bestellung von zehn Großraummaschinen im Rahmen der größten Investition in der Geschichte des Unternehmens nahezu verdoppelt. Auch Air France-KLM plant, seine Flotte um acht A350-Großraumfrachter zu erweitern.

Das starke Wachstum der Luftfrachtkapazitäten wird durch Seefrachtunternehmen wie Maersk und CMA CGM noch beschleunigt, die eine große Anzahl von Frachtflugzeugen bestellt haben und in den kommenden Jahren über große Flotten verfügen werden.  Auch kleinere Fluggesellschaften setzen auf den Kauf neuer Frachtflugzeuge, wie die Saudia Airline mit einer Bestellung von sieben Boeing 777-300 „Preighters“ oder Air Zimbabwe mit einer Bestellung von zwei Boeing 777F.

Führt die Eile zu einer Blase?

Aber es gibt auch Pessimismus innerhalb der Branche. Mit Blick auf die Zukunft wollen Frachtfluggesellschaften wie Cargolux keine übereilten Entscheidungen treffen. Laut Cargolux-Geschäftsführer Richard Forson sollte der Kauf eines Flugzeugs als Vermögenswert für die nächsten 20 bis 25 Jahre betrachtet und mit einer langfristigen Perspektive bewertet werden. Die beispiellose Menge an Frachterbestellungen und die immensen neuen Kapazitäten, die auf den Markt kommen, werfen die Frage auf, wie nachhaltig der derzeitige Nachfrageboom sein wird. Könnte die Blase platzen, wenn die höhere Inflation und die Möglichkeit einer weltweiten Rezession die Nachfrage zu beeinträchtigen beginnen? Die vergangenen zwei Jahre, die für die Luftfrachtunternehmen äußerst lukrativ waren, scheinen einige Marktteilnehmer dazu verleitet zu haben, mehr Kapazitäten aufzubauen. Sobald sich die Märkte und die Nachfrage wieder normalisieren, könnte dies zu einem Überangebot führen, das nicht nur einzelne Unternehmen, sondern auch die gesamte Branche in Mitleidenschaft ziehen würde.

Wir sind gespannt, wohin die aktuellen Entwicklungen in der Branche führen werden, aber eines ist sicher: Die A380F von Airbus wird dabei sicherlich eine wichtige Rolle spielen. Wird das ausreichen, um den angestrebten Marktanteil zu erreichen? Das bleibt abzuwarten, denn einige Faktoren sind noch in der Schwebe ...

cargo-partner Airfreight Insights

Lesen Sie unsere englischsprachigen Airfreight Insights, um mehr über die neuesten Entwicklungen der globalen Luftfrachtbranche zu erfahren. Erhalten Sie regelmäßige Updates zu Routen und Ratenentwicklungen sowie Informationen über flexible Lösungen um aktuelle Herausforderungen zu bewältigen.

 

LESEN SIE MEHR (EN)