Kontakt Flappe öffnen
Ein Interview mit Harald Wegerer, Vice President Customer Service Division, ENGEL

„Stillstände sind in unserer Branche extrem kritisch“

Fast ein Jahr ist vergangen, seit ENGEL seine weltweite Ersatzteillogistik im cargo-partner iLogistics Center am Wiener Flughafen zentralisiert hat. Wir haben Harald Wegerer, Vice President Customer Service Division bei ENGEL, zu einem Gespräch eingeladen, in dem er seine Beweggründe für die Entscheidung, die weltweite Ersatzteillogistik an cargo-partner auszulagern, erklärt. Auch ein Blick auf die Herausforderungen der Zukunft darf natürlich nicht fehlen – von Vernetzungsplattformen und Industrie 4.0 bis hin zu 3D-Druck und Plastik-Recycling.

„Wir sind täglich mit der Anforderung konfrontiert, uns an die Systeme unserer Kunden dranzuhängen. Das stellt uns bei mehreren tausend Kunden und vermutlich ebenso vielen Systemen vor erhebliche Herausforderungen. “

Harald Wegerer erkennt den Trend zu Vernetzungen auch bei den Kunden. Auch im iLogistics Center Fischamend sind die täglichen Abläufe automatisiert und beide Geschäftspartner eng vernetzt - 20 EDI-Schnittstellen wurden zwischen ENGEL und cargo-partner eingerichtet.

Interviewer: Sie haben Ihre berufliche Laufbahn als Maschinenbau-Konstrukteur bei ENGEL begonnen und sind, nachdem Sie einige andere Stationen im Unternehmen durchlaufen haben, seit 2015 für den gesamten globalen Aftersales-Bereich zuständig. Wie kam es zu diesem interessanten Werdegang? Welche Stationen waren für Sie besonders spannend und auf welche Projekte sind Sie besonders stolz? 

Harald Wegerer: Mit 15 Jahren hatte ich nur einen Wunsch – ich wollte Radprofi werden. Da hat sich die Lehre bei ENGEL als technischer Zeichner angeboten, weil man, wie ich damals angenommen hatte, eine sitzende Tätigkeit hat und am Abend ausgeruht trainieren kann. Tatsächlich war ich danach auch drei Jahre bei einem Rennstall unter Vertrag, ernährt hat mich das aber nicht, sodass ich schließlich wieder als Konstrukteur zu ENGEL zurückgegangen bin. Daneben habe ich die Abend-HTL absolviert und anschließend die Leitung des Ersatzteilvertriebes für Großmaschinen übernommen. Nach einem berufsbegleitenden Studium an der FH-Wels bin ich mit meiner Familie von 2007 bis 2011 als Leiter der Customer-Service Division für Nordamerika in die USA übersiedelt und seit 2015 in der globalen Leitung für diesen Geschäftsbereich zuständig. 
In den letzten Jahren haben wir die Organisation praktisch an allen Ecken umgebaut und die Performance gesteigert. Ein Wahnsinns-Aufwand, den wir in einer Hochkonjunktur praktisch im vollen Galopp umgesetzt haben. Es macht mich stolz, jetzt von allen Seiten das positive Feedback dazu zu erhalten und die Früchte zu ernten. Am Ziel sind wir aber noch lange nicht, gerade eben haben wir die Projekt-Landschaft bis 2025 geplant – es bleibt spannend und fordernd.

Im Juni 2018 hat ENGEL mit dem neu eröffneten cargo-partner iLogistics Center seine weltweite Ersatzteillogistik zentralisiert. Was waren Ihre wichtigsten Anforderungen an das iLogistics Center? 

Die Produktion im Umfeld der Automobil- und Verpackungs-Industrie ist auf höchste Verfügbarkeit angewiesen und Stillstände sind in unserer Branche extrem kritisch. Daher ist das Ersatzteil-Geschäft für ENGEL von höchster strategischer Bedeutung. Unsere Anforderungen waren von Beginn weg ganz klar: höchste Prozess-Sicherheit und eine möglichst späte Cut-Off-Zeit für Auftrags-Eingänge für eine garantierte Lieferung am selben Tag mit bester Anbindung an die Transportlogistik. Darüber hinaus war auch die Abwicklung von Aufträgen an 365 Tagen im Jahr eine ganz wesentliche Anforderung. Der Standort Fischamend hat uns dabei in der Auswahlphase durch ein sehr gutes Gesamtkonzept überzeugt. 

Die Anforderungen und Prozesse von ENGEL sind in die Gestaltung des iLogistics Centers mit eingeflossen. Wie ist diese gemeinsame Gestaltung verlaufen? 

Das war eine spannende Reise für uns, immerhin ist ENGEL als Maschinenbauer für höchste Fertigungstiefe bekannt. Daher war der Schritt zu externalisieren für uns kein leichter. Für die Vorbereitung haben wir uns sehr viel Zeit genommen und gemeinsam mit cargo-partner sämtliche Schritte sehr umfangreich geplant. Dabei war auch der Zeitdruck enorm, weil Folgeprojekte in unseren Werken den Auszug des Ersatzteil-Lagers terminiert haben. Letztlich hat sich der Aufwand aber gelohnt, die Übersiedelung von mehreren hundert Sattelzügen an Ersatzteilen über einen Zeitraum von drei Monaten ist über die Bühne gegangen, weitgehend ohne dass unsere Kunden das bemerkt hätten.

Doch die Zusammenarbeit zwischen ENGEL und cargo-partner reicht noch weiter zurück. Bereits 2014 wurde gemeinsam ein Ersatzteillager in Indien eröffnet. Das Lager wurde dann in die Free Trade Zone in Bangkok verlegt, wo heute über 5.000 ENGEL-Bestandseinheiten verwaltet werden. Was waren die ausschlaggebenden Gründe für den Beginn dieser Zusammenarbeit in Indien und die Übersiedelung nach Thailand?

Der Lagerbestand unseres Ersatzteillagers in Indien war vergleichsweise klein und das Konzept somit nicht zukunftsträchtig. Daher haben wir 2016 entschieden, das Lager nach Thailand zu verlegen, auszuweiten und als zentralen Hub für Südost-Asien auszugestalten. Damit waren wir erstmals gefordert, neue Logistik-Konzepte zu diskutieren. Für uns als Maschinenbauer war das herausfordernd. Wir haben das aber sehr gut hinbekommen.

"In der Ersatzteil-Logistik ist Geschwindigkeit alles. Wobei sich bisher ein Konzept mit großen Zentrallagern und schnellen Verteil-Systemen als zielführend für unser Produktspektrum herausgestellt hat. In Zukunft wird vor allem die weitere Vernetzung und Vereinfachung des Bestell- und Abwicklungsprozesses eine Rolle spielen."

Wegerer wagt einen Ausblick in die Zukunft der Ersatzteillogistik.

Im iLogistics Center Fischamend sind die täglichen Abläufe automatisiert und die beiden Geschäftspartner eng vernetzt - hierfür wurden 20 EDI-Schnittstellen zwischen dem ERP-System von ENGEL und dem WMS von cargo-partner eingerichtet. Können Sie auch bei Ihren Kunden einen Trend zu immer stärkerer Vernetzung beobachten? Wie würden Sie allgemein den Willen zur Innovationen in der Maschinenbaubranche bewerten?

Wir sind täglich mit der Anforderung konfrontiert, uns an die Systeme unserer Kunden dranzuhängen. Das stellt uns bei mehreren tausend Kunden und vermutlich ebenso vielen Systemen vor erhebliche Herausforderungen. Da ist es notwendig, uns über standardisierte Schnittstellen mit unseren Kunden zu verbinden, nicht zuletzt um die Abwicklung der Aufträge zu vereinfachen und zu beschleunigen. Insgesamt ist ENGEL ein Vorreiter in Sachen Industrie 4.0. Das Programm läuft bei uns unter dem Produktnamen inject 4.0 und reicht von proaktiver Zustandsüberwachung der Anlagen-Komponenten über eine Kunden-Plattform zum Informationsaustausch bis hin zu ausgereiften Fernwartungs-Lösungen, MES-Einbindung der Anlagen und intelligenten Systemen zum Betrieb am optimalen Betriebspunkt der Anlagen. Wir haben extrem viel in diesem Bereich investiert. Innovation ist der Treiber in unserer Industrie, sowohl auf der Applikations-Ebene, wo wir noch viel Potential für Kunststoffe sehen, als auch an der Anlage selbst. Ohne erhebliches Investment in Innovation wird man nicht überleben.

Neben der immer tiefgreifenden Vernetzung und Automatisierung von Prozessen ist auch der 3D-Druck ein weiterer Trend in der Ersatzteillogistik. Macht ENGEL bereits von dieser Technologie Gebrauch oder planen Sie es in naher Zukunft, Ersatzteile mittels 3D-Drucker bereitzustellen? In welchen Branchen halten Sie dies bereits jetzt für realistisch umsetzbar?

Wir sind aktuell im Bereich 3D-Druck nicht aktiv, beobachten diese Entwicklung aber sehr genau. Sowohl vor dem Hintergrund einer möglichen Substitution für den Spritzguss in bestimmten Bereichen als auch als Alternative zu klassisch gefertigten Ersatzteilen für unsere Anlagen. Wir sehen hier noch viel Entwicklungsarbeit bis zur Serienreife. Im Moment sehen wir 3D-Druck auch mittelfristig als Option im Kleinstserien-Bereich, wenn die mechanischen, optischen und auch maßlichen Anforderungen begrenzt sind.

Stichwort Trends und Herausforderungen in der Ersatzteillogistik – wo liegen diese heute und wo werden sie „morgen“ sein? Und um auch einen Blick auf „übermorgen“ zu werfen – in welcher Position sehen Sie die Ersatzteillogistik beispielsweise in 20 Jahren?

In der Ersatzteil-Logistik ist Geschwindigkeit alles. Wobei sich bisher ein Konzept mit großen Zentrallagern und schnellen Verteil-Systemen als zielführend für unser Produktspektrum herausgestellt hat. In Zukunft wird vor allem die weitere Vernetzung und Vereinfachung des Bestell- und Abwicklungsprozesses eine Rolle spielen. In 20 Jahren werden wir unter Umständen den 3D-Druck selbstverständlich finden – bei der aktuellen Beschleunigung der Entwicklung kann ich mir nicht einmal annähernd ausmalen, wo wir dann sein werden. Ich werde es aber jedenfalls noch in meiner aktiven Berufslaufbahn erleben – ein spannender Gedanke.

Sowohl ENGEL als auch cargo-partner verfolgen eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie. Das iLogistics Center in Holzbauweise setzt ein sichtbares Zeichen für die konsequente Umsetzung nachhaltiger Innovationen. Welche Innovationen wären auf Ihrer Sicht in Ihrer Branche besonders wichtig, um die Prozesse im Hinblick auf mehr Nachhaltigkeit zu verbessern – und wie kann eine intelligente Ersatzteillogistik dazu beitragen?

Wir sind ja in einer Branche tätig, die aktuell sehr im Zentrum der Berichterstattung steht. ENGEL steht zu seiner Verantwortung als Mitglied der internationalen Kunststoffindustrie und engagiert sich stark für einen verantwortungsvollen Einsatz von Kunststoffen. Wir werden ohne Kunststoffe die Herausforderungen unserer Zeit nicht lösen können. Eine nachhaltige Mobilität – Stichwort Elektromobilität – beispielsweise ist ohne Kunststoffe nicht denkbar. Das Problem ist nicht der Werkstoff, sondern das Verhalten von uns Menschen. Hier müssen wir ansetzen und zudem die Recycling-Kapazitäten aufstocken und aufbereiteten Kunststoffabfällen ein breiteres Einsatzspektrum eröffnen. Kunststoffe sind sowohl in der Herstellung und Verarbeitung als auch Anwendung sehr effiziente Werkstoffe. Davon profitiert vor allem die Logistik, unter anderem durch Leichtverpackungen. Eine intelligente Ersatzteil-Versorgung bedeutet darüber hinaus, dass wir die Transportwege umweltschonend gestalten. Genau deshalb etablieren wir Sub-Lager nahe bei unseren Kunden, um die Transporte effizienter umzusetzen. Als Familienvater sind mir persönlich diese Themen sehr wichtig.

Vielen Dank für das Gespräch!