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Ein Gespräch mit Luc Arnouts vom Hafen Antwerpen

„Wir sollten weiterhin auf unsere Trümpfe setzen“

Der Hafen von Antwerpen in Flandern, Belgien, ist ein bedeutender Hub im Herzen Europas. Mit einer Umschlagsmenge von 235,2 Mio. Tonnen Seefracht gilt der Hafen als Europas Nummer 2 hinter Rotterdam. Wir sprachen mit Luc Arnouts, Director International Relations & Networks, über die aktuellen Entwicklungen in der Branche.

 

Antwerpen liegt am oberen Ende der Schelde-Mündung und reicht trotz seines Tiefseehafens bis zu 80 km tief nach Festlandeuropa. Im Umkreis von 250 Kilometern um den Hafen liegen fünf Hauptstädte und die deutsche Metropolregion Rhein-Ruhr mit 10 Millionen Einwohnern. Zusätzlich befinden sich 60 Prozent der Kaufkraft der Europäischen Union im Umkreis von 500 km. Dank dieser vorteilhaften Lage ist es dem Hafen gelungen, zu einem von Europas größten Seehäfen zu werden. Wir freuen uns über die Gelegenheit, mit Vice President Luc Arnouts über die neuesten Erfolge und Zukunftspläne zu sprechen.

Interviewer: Ihre Zahlen aus dem Jahr 2018 zeigen ein stetiges und positives Wachstum: Mit einem Gesamtumschlag von 235,2 Mio. t stellte Antwerpen im vergangenen Jahr einen neuen Rekord auf. Trauen Sie sich bereits eine Prognose für das Jahr 2019 abzugeben?

Luc Arnouts: Wenn wir uns die Zahlen der ersten acht Monate ansehen, wird unser Wachstum hauptsächlich von zwei Faktoren angetrieben. Der größte ist das Containergeschäft, der zweite ist – aufgrund des vorhandenen Chemieindustriehafens (Anm. nach Houston der zweitgrößte der Welt) – der Umschlag von flüssigem Massengut. Das sind also die großen Wachstumsmotoren, die uns zu einer überdurchschnittlichen Leistung verholfen haben. Die Container schneiden mit einer Wachstumsrate von 5,8% sehr gut ab, das flüssige Massengut etwas schwächer. Insgesamt rechnen wir mit einem Wachstum von etwa 1,5%, was uns auf etwas mehr als 240 Millionen Tonnen Jahresumschlag bringen würde. Wir rechnen daher mit einem weiteren Anstieg des Containerumschlags und einer Fortsetzung unseres Wachstumskurses, jedoch nicht in dem gleichen Tempo wie in den Vorjahren.

Großbritannien ist mit knapp 17 Mio. t Fracht im Jahr 2018 der zweitgrößte Übersee-Handelspartner für den Hafen von Antwerpen. Der Hafen gilt als einer der „wichtigsten Tiefwasserhäfen Großbritanniens“ und als äußerst wichtiger Umschlagplatz für Waren, die den Ärmelkanal überqueren. Bislang wurden die Waren ohne zeitaufwändige Zollabfertigung entladen und sofort nach Großbritannien verschickt. Werden Sie mit dem bevorstehenden Brexit von Tag zu Tag nervöser?

„Brexit“ scheint das Wort der Stunde zu sein. Tatsächlich ist Großbritannien unser zweitwichtigster Handelspartner in Übersee. Wir haben sofort nach dem Referendum reagiert und 2016 eine eigene Brexit Task Force ins Leben gerufen. Sie setzt sich nicht nur aus Mitarbeitern der Hafenbehörde – also uns selbst – sondern auch Personen der Zollbehörden, der Lebensmittelbehörde und einigen wenigen Privatunternehmen, die intensive Geschäftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich unterhalten, zusammen.

Da wir nicht direkt an der Nordeeküste liegen, haben wir immerhin keinen klassischen Roll-on/Roll-off-Fährverkehr mit Lastwagen, die auf eine Fähre und dann nach Großbritannien oder umgekehrt fahren. Wir beschäftigen uns mehr mit dem Umschlag von Containern, was eine andere Art von Geschäft ist, da keine Lastwagen und keine Fahrer daran beteiligt sind.

Ein weiterer zu berücksichtigender Faktor ist, dass ein großer Teil des Geschäfts zwischen Antwerpen und Großbritannien aus flüssigem Massengut besteht, dessen Handel von Handelsunternehmen bestimmt wird. In diesem Bereich sind wir Schwankungen gewohnt, da der Markt natürlich stark vom Tageskurs und dessen Entwicklung abhängt. Es ist definitiv ein volatiles Geschäft, bei dem diese Firmen entscheiden, ob sie aus Großbritannien exportieren oder importieren möchten oder eben nicht.

Außerdem haben wir einen ständigen Vertreter für Großbritannien und Irland ernannt. Justin Atkin ist letztes Jahr zu uns gestoßen und hilft uns, Unternehmen in Großbritannien und Irland auf die Möglichkeiten des Antwerpener Hafens aufmerksam zu machen, aber auch für den Brexit im Allgemeinen zu sensibiliseren. Unsere Repräsentanten haben auch auf verschiedenen Ebenen Lobbyarbeit sowohl in Großbritannien als auch in der EU betrieben, um zu argumentieren, dass es für unser Geschäft selbstverständlich am besten wäre, wenn Großbritannien weiterhin in der Zollunion bliebe.

Nun, leider hat sich bis jetzt nichts geändert und es besteht immer noch die Gefahr eines „harten Brexits“, der Verzögerungen und Engpässe in bestehenden Lieferketten verursachen würde. Wie bereitet sich die Hafenbehörde zusätzlich auf solch ein unangenehmes Ereignis vor?

Wir haben in letzter Zeit eng mit den Zollbehörden und der Lebensmittelverwaltung zusammengearbeitet und von insgesamt 386 neuen Zollmitarbeitern erfahren, die eingestellt werden sollen. Rund 300 davon sind bereits im Einsatz. Wir sind daher der Meinung, dass Belgien im Hinblick auf potentiellen Mehraufwand im Rahmen der Zollabwicklung relativ gut vorbereitet ist. Das sind natürlich exzellente Nachrichten, was auch dem Hafen von Antwerpen hilft.

Insgesamt sage ich immer, dass ein Hafen wie Antwerpen, der mit Tausenden von Häfen auf der ganzen Welt verbunden ist, ausreichend Erfahrung im Umgang mit sogenannten Drittländern hat. Dies ist für uns also nicht völlig neu. Wir denken, dass wir gut vorbereitet sind. Sind wir zuversichtlich, dass alles gut läuft? Nein. Es wird eine herausfordernde Situation sein, aber ich glaube, wir haben alles getan, um darauf vorbereitet zu sein, und die Stärken des Hafens werden uns auch dabei helfen, so reibungslos wie möglich durchzukommen. Wer weiß, was bis Ende Oktober passieren wird. Mal sehen, was genau passiert oder ob es überhaupt passiert. (lacht) Wir wissen es nicht. Niemand weiß es.

„Wir sollten weiter auf unsere Trümpfe setzen, die nicht nur niedrige Kosten, sondern auch unsere Servicezuverlässigkeit und unser multimodales Angebot umfassen.“

Luc Arnouts über das konkurrierende Angebot vonseiten Chinas Neuer Seidenstraße und der europäischen Südhäfen.

Die Schiffahrt muss seit einiger Zeit mit einer herausfordernden Marktsituation umzugehen, weil Angebot und Nachfrage nicht korrelieren. Mit Fusionen und Allianzen versucht die Branche sich zu konsolidieren. Dass dies bereits länger überfällig war, hat sich in den letzten zehn Jahren imposant bewahrheitet. Wie sehen Sie als Hafen diese Entwicklungen: Denken Sie, dass diese Phase demnächst abgeschlossen ist, oder wird es in nächster Zeit weitere Übernahmen geben?

Nun, diese Phase hatte den Effekt, dass es jetzt drei große Allianzen gibt und im Grunde nur noch neun große Carrier übrig sind. Es ist vielleicht möglich, dass ein oder zwei weitere Carrier eine Fusion anstreben werden oder auch eine Übernahme stattfinden könnte. Ich denke aber auch, es ist für die Branche wichtig, dass wir ein bisschen Auswahl unter den Carriern haben, damit der Markt nicht zu monopolistisch wird. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.

Andereseits sehen wir eine intensivierte Zusammenarbeit unter den Häfen. Zum Beispiel gibt es die Initiative „Chain Ports“, die aus elf Häfen aus der ganzen Welt besteht, und Antwerpen ist einer von ihnen. Es kommt regelmäßig zu informellen Treffen, um Innovations- und Digitalisierungsinitiativen zu diskutieren und voneinander zu lernen, beispielsweise um die Transparenz in der Lieferkette weiter zu verbessern. Ich würde es also nicht eine Allianz von Häfen nennen, aber es könnte eine viel engere und vorteilhafte Zusammenarbeit zwischen Häfen auf der ganzen Welt ergeben.

Die internationale Schifffahrt muss sich ab dem 1. Januar 2020 an strengere Umweltvorschriften der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) halten, die künftig den Schwefelgehalt im Treibstoff begrenzen werden. Wie reagiert der Antwerpener Hafen auf diese umweltfreundliche Maßnahme und sehen Sie eine langfristige Alternative in LNG (Liquefied Natural Gas)? Wäre die Schaffung eines LNG-Terminals Ihrer Meinung nach eine Herausforderung für die Hafeninfrastruktur?

Grundsätzlich haben wir eine sogenannte Multi-Fuel-Strategie, die auf drei Säulen basiert. Die erste Säule sind die traditionellen Schweröle, die wir weiterhin liefern werden, da Antwerpen ein großer Bunkerhäfen ist. Wir werden diese Treibstoffe also weiterhin verwenden, aber wir werden die Verwendung genauer überwachen, da es strengere Bedingungen geben wird, bevor man beispielsweise eine Genehmigung zum Betanken von Hochseeschiffen erhält. Natürlich werden wir auch neue Kraftstoffe mit niedrigem Schwefelgehalt einbeziehen und sicherstellen, dass sie im Hafen von Antwerpen verfügbar sind.

Unsere zweite Säule betrifft LNG. Momentan haben wir die Möglichkeit, „Truck to Ship“ zu verladen, was bedeutet, dass die am Kai anlegenden Schiffe LNG-Kraftstoff von LKWs am Ufer erhalten. Darüber hinaus arbeiten wir derzeit an einer LNG-Bunkerstation in der Mitte des Hafens, um den Treibstoff mit Hilfe von Frachtkähnen vom Terminal zum bunkernden Schiff zu befördern. Diese neue Möglichkeit sollte voraussichtlich Mitte nächsten Jahres in Betrieb sein.

Ich vermute, die dritte Säule wird auf nachhaltigem Wasserstoff basieren, da ich kürzlich von einem von Ihnen georderten Schlepper namens „Hydrotug“ gelesen habe, der mit Wasserstoff betrieben wird. Wie weit ist dieses Projekt vorangeschritten und wann planen Sie die Inbetriebnahme des Hydrotugs?

Richtig, in der dritten Säule geht es um neue alternative Energien. Wir arbeiten aktiv an Methanol, Wasserstoff und grünem Strom als Energiequelle für Schiffe. In diesem Zusammenhang investieren wir auch stark in unsere eigenen Schlepper und werden in naher Zukunft einen Schlepper mit Methanol betreiben. Auch den Bau eines ersten wasserstoffbetriebenen Schleppers haben wir vor Kurzen in Auftrag gegeben. Das Boot soll in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres bereits einsatzbereit sein. Im Allgemeinen betrachtet ist Wasserstoff natürlich eine sehr interessante Energiequelle, aber es muss sichergestellt werden, dass es sich dabei um „grünen Wasserstoff“ handelt. Erwiesenermaßen erfordert die Umwandlung von Wasser in Wasserstoff im Rahmen der Elektrolyse viel Strom. Wenn dieser Strom jedoch mit Hilfe fossiler Brennstoffe erzeugt wird, hat man natürlich keinen grünen Wasserstoff mehr – Sie haben dann „grauen Wasserstoff“. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wasserstoff als solcher ist großartig, weil er nahezu emissionsfrei ist, aber es ist genauso wichtig, auch zur Erzeugung von Wasserstoff grüne Energieformen wie Windenergie oder Sonnenenergie zu verwenden.

Als Exportnation investiert China massiv in die „Neue Seidenstraße“ und möchte vor allem mit transasiatischen Frachtzugrouten eine Alternative zu den längeren Transportwegen per Containerschiff anbieten. Sehen Sie diese Entwicklung als Herausforderung?

Unser Hafen war schon immer viel mehr als nur ein simpler Umschlagplatz für Fracht. Wir beherbergen die mit Abstand größten überdachten Lagerflächen in ganz Europa. Etwas mehr als 630 Hektar an Lagerhallen ergeben mehr als 6,3 Millionen Quadratmeter an überdachter Lagerfläche. Der Hafen Antwerpen sah sich schon immer mehr als eine Art Logistikplattform. Vor diesem Hintergrund möchten wir die gesamte Supply Chain mit möglichst vielen alternativen Angeboten und Lösungen abdecken. Ob Binnenschifffahrt, LKW oder in diesem Fall auch der Schienenverkehr. Alle Terminals in Antwerpen sind an das Bahnnetz angebunden, sodass jedes Terminal Güter auf der Schiene entgegennehmen oder exportieren kann. Die „Neue Seidenstraße“ und unsere Hafenbahn bereichern die Auswahlmöglichkeiten aller Supply Chain Manager.

Betrachtet man die absoluten Zahlen, verkehren pro Woche ungefähr 160 Züge zwischen China und Europa, wobei jeder Zug um die 80 Container zählt. Dieses Transportaufkommen ist also nur ein kleiner Bruchteil im Vergleich zu dem, was die Schiffe der großen Reedereien bewegen. Wir sehen diesen neuen Transportkorridor also nicht als Bedrohung – im Gegenteil, er bietet unseren Kunden zusätzliche Möglichkeiten.

Neben der Forcierung des transasiatischen Zugverkehrs durch China haben zeitgleich auch die Südhäfen Koper, Piräus und Triest ihren Umschlag stetig steigern können. Hat Antwerpen im Hinblick auf manche Regionen Europas unter Umständen einen signifikanten geographischen Nachteil?

Ich denke, dies ist ein Aspekt, dessen wir uns zumindest bewusst sein sollten und wo wir wachsam bleiben sollten, aber im Moment fließen die wichtigen Warenströme immer noch nach und aus dem Herzen Europas. Was Deutschland, Nordfrankreich, die Niederlande und Belgien betrifft, haben wir In diesem wichtigen Teil Europas den geografischen Vorteil, aber wir sollten nicht blind sein für die Entwicklung, die in den Mittelmeerhäfen vor sich geht. Wenn Sie sich die Zahlen ansehen, sehen Sie deutlich, dass Häfen wie Piräus, aber auch Valencia und einige andere in den letzten fünf oder sechs Jahren stark gewachsen sind. Sie haben also ihre eigene starke Position im jeweiligen Umland, aber wir sehen sie beispielweise nicht als Bedrohung für die Metropolbereiche in Deutschland. Wir sind uns absolut sicher, dass dieser Teil Europas billiger von nordwesteuropäischen Häfen bedient werden kann.

Je weiter man jedoch in den Süden blickt, desto stärker werden wir klarerweise in Zukunft mit der Konkurrenz vieler südlicher Häfen konfrontiert sein. In diesem Fall sollten wir weiter auf unsere Trümpfe setzen, die nicht nur niedrige Kosten, sondern auch unsere Servicezuverlässigkeit und unser multimodales Angebot umfassen. Wenn Sie Antwerpen nutzen, können Sie mit der Bahn, dem Binnenschiff oder dem LKW an jedes Ziel gelangen – für flüssiges Massengut können wir sogar das weitläufige Pipeline-Netz vor Ort nutzen. Daran müssen wir arbeiten und diese Trümpfe effektiv nutzen.

Vielen Dank für das Gespräch!