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Ein Gespräch mit dem renommierten Transport- und Logistikexperten, Dr. Sebastian Kummer

„Die Belastung der Weltmeere durch Schweröl ist durch nichts zu rechtfertigen“

Dr. Sebastian Kummer gilt als renommierter Kenner der Transport- und Logistikbranche. Neben seiner Vorstandsfunktion am Institut für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien, hält er aktuell auch einen eigenen Lehrstuhl an der Universität von Jilin inne. Als praxisorientierter Leiter zahlreicher Forschungs- und Beratungsprojekte ist Dr. Kummer Autor vieler wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Wir nahmen die Möglichkeit des Gesprächs wahr und baten ihn um seine Meinung zu aktuellen Branchenthemen sowie um einen fundierten Ausblick auf 2020.

Fünf Jahre, nachdem ich das erste Mal 1998 in China war, gab es keine Dampflokomotiven mehr. Die Art und Weise, wie in China mit Herausforderungen umgegangen wird, ist bemerkenswert.

Dr. Kummer über seine Eindrücke von China nach zahlreichen Aufenthalten

Interviewer: Mit China verbindet Sie bereits seit längerer Zeit ein aktives Verhältnis, seit Sie vor etwas mehr als 15 Jahren die Chinesischen Staatsbahnen beraten haben. 2010 folgte bereits die erste Gastprofessur in Jilin. Wie haben Sie die rasante Entwicklung des Landes in diesem Zeitraum persönlich erlebt?

Sebastian Kummer: Mich hat immer die schnelle Entwicklung, aber eben auch der sehr gute und gezielte Mitteleinsatz begeistert. Auch die Art und Weise, wie in China mit Herausforderungen umgegangen wird, ist durchaus bemerkenswert.

Als ich das erste Mal in China war, hatte die chinesische Eisenbahn noch einen großen Fuhrpark mit Dampflokomotiven, zum einen, weil man aufgrund des starken Wachstums die neuen Lokomotiven für zusätzliche Verkehre verwendete, zum anderen aber auch, weil China – und das gilt im Grunde heute immer noch – mit Kohle über eine im großen Maße zur Verfügung stehende Energiequelle verfügt. Die chinesischen Eisenbahnen haben allerdings seit Ende der 1990er Jahre innerhalb von wenigen Jahren den gesamten Fuhrpark erneuert und schon fünf Jahre, nachdem ich das erste Mal 1998 in China war, gab es bereits keine Dampflokomotiven mehr. Ähnlich beeindruckend ist im Grunde der Auf- und Umbau in allen Industrien, einschließlich der Automobilindustrie.

Offensichtlich ist aber auch, dass der starke Fokus auf die wirtschaftliche Entwicklung zu großen Umweltbeeinträchtigungen geführt hat. Nicht nur das große Verkehrswachstum, sondern auch Kohlekraftwerke haben zu einem großen Anstieg der CO2-Emissionen und in einigen Regionen zu durchaus sichtbaren Umweltbeeinträchtigungen geführt. Aber auch hier hat China den Handlungsbedarf erkannt. So ist es kein Zufall, dass China Weltmarktführer in Solartechnik und bei der Elektromobilität ist. Meiner Einschätzung nach haben die gesetzten Maßnahmen auch schon zu einer deutlichen Verbesserung der Luftqualität geführt.

Als Exportnation investiert China im Rahmen der „New Silk Road“ massiv in den Ausbau zahlreicher Transportachsen und Absatzmöglichkeiten. Vor allem mit dem Ausbau der transasiatischen Zugstrecken möchte China im Hinblick auf Europa und Zentralasien eine Alternative zu den längeren Transportwegen per Containerschiff anbieten. Zeitgleich gelten diese Zugstrecken von Seiten Chinas als stark subventioniert. Welche Entwicklungen erwarten Sie in diesem Bereich?

Es ist richtig, dass China zum Teil sehr stark in die Schieneninfrastruktur sowie in rollendes Material investiert. Inwieweit diese subventioniert werden, kann ich nicht sagen, allerdings weiß ich, dass die chinesische Eisenbahn – im Gegensatz zu den europäischen Eisenbahnen – sehr profitabel ist. Einen Wettbewerb zwischen Containerschiffen und der Schiene sehe ich nur in sehr geringem Ausmaß, denn die Volumina, die mit der Schiene transportiert werden können – selbst, wenn man die Schieneninfrastruktur massiv ausbauen würde – sind nur ein Bruchteil von den Volumina, die durch Containerschiffe befördert werden.

Sie haben zuletzt wiederholt die Verlängerung der Breitspur in den zentraleuropäischen Raum befürwortet. Andere Stimmen meinen, man könnte durchaus eine bestehende 400 km lange Strecke ins schlesische Slawków nutzen oder die Modernisierung bestehender Umschlagsinfrastruktur in Polen und der Slowakei sollte ausreichen. Wie schätzen Sie diese Ansichten ein?

Nachdem wir uns bereits vor acht Jahren in zwei Studien intensiv mit der Breitspur-Verlängerung auseinandergesetzt haben, setze ich mich für die Breitspur-Verlängerung nach Zentraleuropa ein. Natürlich ist es technisch möglich, Polen als Umschlagspunkt zu nutzen, allerdings wird dann die Wertschöpfung in Polen passieren und nicht in Österreich. Die Hoffnung, dass es Kosice schafft, sich als Infrastrukturknotenpunkt zu positionieren, halte ich für nicht realistisch. Derartige Knotenpunkte funktionieren nur, wenn es in der Region eine entsprechende Nachfrage gibt. Da die Ostslowakei sehr strukturschwach ist, ist eine solche Nachfrage nicht zu erwarten. Außerdem kommt hinzu, dass die Slowakei im Bereich der Bahn ein anderes Stromsystem hat als zum Beispiel Deutschland und Österreich.

Die Frachtschifffahrt muss seit einiger Zeit mit einer herausfordernden Marktsituation umgehen, weil Angebot und Nachfrage nicht korrelieren. Mit einer Welle von Fusionen und Allianzen versucht die Branche seit 10 Jahren, wieder in ruhigere Gewässer vorzustoßen. Ein Grund dafür waren auch die stetig wachsenden Schiffsgrößen. Im Juli wurde beispielsweise mit der MSC Gülsün ein Schiff mit einem Rekordfassungsvermögen von 23.000 TEU in Dienst gestellt – und die Auftragsbücher der Werften sind voll. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Fallen die Carrier in alte Muster zurück und begehen erneut die gleichen Fehler wie vor 10 Jahren?

Ich denke, dass das so ist. Natürlich mussten alle Reedereien, um wettbewerbsfähig zu bleiben, auf die 23.000-TEU-Klasse umsteigen, dadurch sind riesige Kapazitäten geschaffen worden. Mit großer Sorge sehe ich jedoch, dass die großen Reedereien wieder fleißig Schiffe bestellen. Ich denke, dass sie einfach für die nächsten Jahre ein Wachstum in der Nachfrage sehen, die ich nicht sehe. Ich denke nicht nur, dass wir vor konjunkturell ruhigeren Zeiten stehen, sondern auch, dass der interkontinentale Warenverkehr eher geringer als das weltweite Wachstum sein wird.

„Die Belastung der Weltmeere durch die schlechte Qualität des von den Schiffen verbrannten Schweröls ist – außer durch die Interessen der Mineralölindustrie – durch nichts zu rechtfertigen.“

Der Vorstand des Institutes für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien über seine Ansichten zu IMO2020

Die internationale Schifffahrt muss sich ab 1. Januar 2020 aufgrund verschärfter Umweltbestimmungen der International Maritime Organization umstellen: Auf hoher See darf nur noch Treibstoff mit einem signifikant niedrigeren Schwefelgehalt verbrannt werden. Wegen der Mehrkosten wird mit einer merkbaren Verteuerung der Transporte gerechnet. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu oder wird sich der Effekt dieser, aus Sicht der Umwelt begrüßenswerten, Bestimmung wieder einpendeln?

Die Belastung der Weltmeere durch die schlechte Qualität des von den Schiffen verbrannten Schweröls ist – außer durch die Interessen der Mineralölindustrie – durch nichts zu rechtfertigen. Die Absenkung der Grenzwerte ist aus meiner Sicht absolut zu befürworten und ist ein Schritt, der überfällig war. Allerdings habe ich erfahren, dass offenbar Reedereien planen, die Tanks der Schiffe umzubauen, bzw. die unterschiedlichen Kammern so zu nutzen, dass sie innerhalb der Hoheitsgewässern mit „sauberen“, den neuen Richtlinien entsprechenden Treibstoff fahren, aber außerhalb der Hoheitsgewässer weiter das alte Schweröl verwenden. Dann wären die Mehrkosten in der Tat nur sehr gering. Allerdings hoffe ich, dass die Politik hier Lösungsansätze entwickelt, um ein solches Vorgehen zu verhindern. Natürlich würde die ausschließliche Nutzung von sauberen Treibstoffen Mehrkosten verursachen. Allerdings muss man auch sagen: Wenn man diese auf den Endverbraucherpreis umrechnet, so fallen diese kaum ins Gewicht.

Obwohl man nicht ganz an Chinas rasante Entwicklung herankommt, gilt auch Indien als „Rising Star“ der Weltwirtschaft. Dennoch hinkt das Land aus Sicht der Logistik- und Transportbranche in puncto Verkehr und Infrastruktur hinterher. Woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen?

Es gab hierfür einige Gründe, zum einen die starke Zersplitterung des Transport- und Logistikmarktes, zum anderen die vielen regionalen Regulierungen und Zölle/Gebühren, die beim Transport von einer Region in eine andere bezahlt werden mussten, und nicht zuletzt die Vernachlässigung der Verkehrsinfrastruktur. Die indische Regierung hat sich aber zumindest der letzten beiden Punkte angenommen und ich denke, dass sich die Bedingungen für die Transport- und Logistikbranche schnell verbessern. In dem Maße, mit dem IT-Know-how wichtiger wird, wird auch die Wettbewerbsfähigkeit der indischen Transport- und Logistikbranche zunehmen, denn was Softwareentwicklung angeht, ist Indien weltweit führend.

Die Digitalisierung und große technologische Entwicklungen bieten ungeahnte Chancen und durchdringen immer mehr Geschäftsbereiche, so auch die Transportbranche. Besonders Luftfracht per Drohne sowie auch die Blockchain-Technologie galten als veritable Hypes im Transportsektor. Mittlerweile wurden die meisten ambitionierten Prognosen zurückgeschraubt. Wie sehen Sie als Experte diese Entwicklung und erkennen Sie bereits neue „Trending Topics“ am Horizont?

Die digitale Transformation ist voll im Gang und es ist normal, dass insbesondere von Medien spektakuläre Dinge wie Drohnen oder Blockchain-Technologien gehypt werden. Wichtig ist, nicht den Blick zu vernebeln und die Entwicklungen genau zu beobachten. Kein verantwortungsvoller Unternehmer tätigt eine Investition, nur weil etwas gerade „in“ ist. Kein verantwortungsvoller Wissenschaftler propagiert Konzepte oder Technologien, weil sie gerade gehypt werden. Das Institut für Transportwirtschaft und Logistik prüft neue Entwicklungen immer sorgfältig. Bei den Drohnen war schnell klar, dass es dafür nur ein begrenztes Anwendungsfeld in der Logistik gibt, z.B. haben wir Vorschläge in der humanitären Logistik unterbreitet. Bezüglich der Blockchain haben wir ein Rahmenkonzept entwickelt, mit dem Unternehmen prüfen können, ob sie für eine Anwendung Blockchain-Technologien einsetzen sollen. Oft ist das nicht der Fall, aber unter bestimmten Bedingungen, z.B. bei der Lebensmittelsicherheit oder bei internationalen Supply Chains, kann es sinnvoll sein, Blockchains einzusetzen.

Viele Beobachter meinen, dass es mit Donald Trumps protektionistischer Wirtschaftspolitik, dem köchelnden Handelskonflikt zwischen den USA und China sowie dem „Never Ending Brexit“ zu einem Einbremsen der Weltkonjunktur kommen wird. Teilen Sie diese Ansicht oder sehen Sie keinen Grund für übertriebenen Alarmismus?

Ich glaube, dass es ein gewisses Risiko gibt, dass sich die Konjunktur abschwächt, aber ich bin mir relativ sicher, dass wir nach der Wahl in Großbritannien ein Ende des „Never Ending Brexit“ sehen werden und Großbritannien aus der EU austritt. Dies wird schlecht für Großbritannien sein, weil ein Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs droht. Der Effekt für Europa wird negativ, aber meiner Einschätzung nach nicht so schlimm sein. Donald Trumps protektionistische Wirtschaftspolitik ist ein letztes Aufbäumen einer Weltmacht. Es ist schade, aber auch hier zeigt sich: Die Chinesen sind bereit, eine führende Rolle in der Welt zu übernehmen. Im Gegensatz zu den Amerikanern setzen sie dabei weniger auf militärische als auf wirtschaftliche Stärke – mir persönlich ist das sympathischer.

Welche Themen werden Ihrer Meinung nach im Jahr 2020 die Transport- und Logistikbranche bewegen?

Die digitale Transformation wird an Fahrt gewinnen und wir werden weltweit staatliche Maßnahmen für mehr Umweltschutz und immer mehr CO2-Steuern sehen. Ich glaube außerdem, dass die Transformation in der Automobilindustrie die Transport- und Logistikbranche stark treffen könnte, vor allem dann, wenn es insgesamt zu einer Nachfrageschwäche kommt. Deswegen gilt es, die konjunkturelle Entwicklung sorgfältig zu beobachten.

Wir danken für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihren kommenden Lehr- und Forschungsprojekten.