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Standardisierung in der Antike

Amphoren: Vorläufer der ISO-Container

Ob spektakuläre Unterwasserfunde in antiken Schiffswracks oder penibel untersuchte Tonscherben: Amphoren gelten als das Alltagsobjekt des Altertums schlechthin. Sie hatten eine sehr charakteristische Formgebung und werden ob ihrer Eigenschaften häufig als der Vorläufer des heutigen Containers bezeichnet. Erfahren Sie mehr über Stapeltechniken, Berge aus Amphorenscherben und die Rolle, die Amphoren im alten Rom bei der Eroberung ferner Provinzen spielten.

Amphoren oder Amphora (von altgriechisch ἀμφορεύς amphoreus „zweihenkliges Tongefäß“) sind bauchige, enghalsige Gefäße mit zwei Henkeln, die meist aus Ton hergestellt wurden. Manche Exemplare wurden zwar auch aus Metallen oder Glas gefertigt, doch die Modelle aus Ton wurden in der Antike millionenfach produziert. Durch zwei Henkel sollte ursprünglich das Tragen erleichtert werden. Amphoren wurden zur Aufbewahrung bzw. zum Transport von Lebensmitteln, aber auch anderen Gütern verwendet. Es handelt sich bei den Amphoren also mitnichten um „Vasen“...

Spitz, zum Stapeln

Was die Amphore neben zwei Henkeln als antike Töpferware ausmacht, ist der Umstand, dass sie nach unten hin spitz zuläuft. Dies macht ein vertikales Aufstellen unmöglich und erscheint auf den ersten Blick widersinnig, doch ihre Gestalt hatte einen wohlüberlegten Grund: Funde aus Schiffswracks haben gezeigt, dass die stehenden Amphoren in den runden „Schiffsbäuchen“ in mehreren Schichten so verpackt waren, dass die „Böden“ einer darüber liegenden Schicht in die Zwischenräume zwischen die „Schultern“ der unteren Schicht passten. Dadurch, dass sie quasi ineinander „gesteckt“ wurden, waren die Belastungspunkte praktisch verteilt. Jede Amphorenschicht würde somit einem zusätzlichen Gewicht von nur einem Viertel einer einzelnen Amphore an jedem Belastungspunkt entsprechen – eine statische Ideallösung!

Lokal hergestelltes „Standardmaß“

Amphoren wurden in der Antike als Vorrats- und Transportgefäße für Öl, Oliven und Wein, Fischsaucen sowie Honig, Getreide, haltbar gemachte Früchte wie Datteln und vieles mehr benutzt. Sie wurden in jenen Regionen hergestellt, in denen Transportgüter erzeugt wurden, also etwa dort, wo Wein- oder Olivenanbau stattfand. Je nach Inhalt war das Volumen unterschiedlich und das mögliche Fassungsvermögen variierte durchaus zwischen 5 und 50 Litern. Manche große, bauchige Olivenöl-Amphoren konnten mit einem Inhalt von 70 Litern bisweilen aber auch ein Gesamtgewicht von 100 Kilogramm erreichen.
Es überrascht dennoch nicht, dass sich beispielsweise die römische „Amphora“ im Laufe der Zeit zu einer wichtigen (Hohl-)Maßeinheit für Flüssigkeiten entwickelte (26,2 Liter). Den Beginn der zunehmenden Standardisierung datiert die Forschung im 8. Jahrhundert v. Chr. im nordafrikanischen Raum an, durchgesetzt hat sich dieses Phänomen dann aber vor allem in der hellenistischen und römischen Zeit.

Archäologische Nutzung

Wie erwähnt, wurden die Behälter meistens dort hergestellt, wo sie zur Abfüllung von Waren benötigt wurden und von wo aus sie verkehrsgünstig zu ihren Absatzgebieten und Bestimmungsorten abtransportiert werden konnten. Für Archäolog:innen ist dieser Umstand ein unbezahlbarer Glücksfall, denn aus Form und Herkunft der Amphoren ist es möglich, die transportierten Produkte und ihre Handelswege zu bestimmen. Neben der Form sind auch andere Details bei der Herstellung bedeutend, um die Funde einer Periode oder Region zuordnen zu können. So werden zur Bestimmung auch die Art der Tonmischung und die Brenntemperatur erkundet. Auch Amphorenstempel oder Ritzungen sind hilfreich. Vor allem der nachweisbare Wandel der Formen bietet den Altertumsforscher:innen Datierungsmöglichkeiten. Dazu müssen nicht erst spektakuläre Funde in Schiffswracks gemacht werden.

„Ein Berg an Amphoren“

Häufig wurden sie als Einwegbehälter nach dem Transport weggeworfen – so besteht der Monte Testaccio in Rom zu großen Teilen aus Amphorenscherben. Andere Exemplare fanden wiederum eine neue Verwendung, etwa als Urnen bei Brandbestattungen.

In der Tradition antiker Amphoren wurden diese auch nach dem Untergang des römischen Imperiums im byzantinischen Raum, aber auch in Spanien bis weit ins Mittelalter hinein produziert. Selbst in der frühen Neuzeit wurden Amphoren auch in Großbritannien hergestellt. Formal veränderten sie sich gegenüber der Antike durch die Einführung gerundeter Böden anstelle von Spitzböden, doch ihre Häufigkeit und Verbreitung ging stark zurück. Dies gilt auch als Hinweis auf geänderte staatliche Strukturen und geschrumpfte Wirtschaftsräume. Die Fragmentierung des europäischen Staatenwesens und der Niedergang internationaler Handelsräume schlug sich ebenso darin nieder.

Vorläufer des ISO-Containers?

Doch eines nahmen die Amphoren – selbst als Einweggefäße – bereits den heute vorherrschenden ISO-Containern vorweg: die industrielle Massenherstellung (nach damaligen Standards) sowie die Standardisierung von Transportbehältern. In gewisser Weise kommt auch noch die Stapelbarkeit hinzu. Ob im Altertum auch der Vorläufer zur „Amphorenpalette“ entwickelt wurde, wäre eine interessante Frage. Ein allfälliger Fund wäre definitiv eine historische Sensation.

Auf jeden Fall waren diese „Container der Antike“ sehr nützlich, um landwirtschaftliche Massenprodukte zu verpacken und effizient über große Entfernungen zu transportieren. So halfen Standardformen, die beispielsweise gut von einer Person alleine zu tragen waren oder sich für den Transport per Land, Fluss oder Meer gleichermaßen eigneten, einen florierenden Handelsraum im Mittelmeer einzurichten. Doch auch darüber hinaus machte sich der überaus effiziente Gegenstand verdient: Ein Anstieg der Produktion von Amphoren für Olivenöl in Südspanien ist beispielsweise durch die römische Eroberung Germaniens zu erklären, da die Versorgung der Legionäre gewährleistet werden musste. Diese Entwicklung konnte von Forscher:innen eindeutig belegt werden.

Damals wie heute ein Erfolgsrezept

Dass es sich bei Amphoren um eine erfolgreiche Erfindung handelt, ist unbestritten. Funde in Indien zeigen, dass sogar bis über die Grenzen des römischen Reiches hinweg damit geliefert wurde. Heute werden Amphoren vor allem zu Zierzwecken, beispielsweise als Vase im Wohnzimmer oder Garten, hergestellt. Vereinzelt spielt die Amphore auch heute noch eine besondere Rolle, zum Beispiel bei der Herstellung eines speziellen Weines, des sogenannten „Amphorenweins“. Dieser Ausbau ist vor allem bei „biodynamischen Weinen“ beliebt, aber auch geschwefelte Weine, wie der Quevri-Wein aus Georgien, werden häufig in speziellen Amphoren gekeltert. Doch das ist eine andere Geschichte...