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Ein Gespräch mit Emile Hoogsteden vom Hafen Rotterdam

„Rotterdam ist natürlicher Ausgangs- und Endpunkt der Seidenstraße“

Der Hafen Rotterdam zählt zu den größten Seehäfen der Welt und gilt als der mit Abstand größte Tiefwasserhafen Europas. Der an der Rheinmündug zur Nordsee gelegene Hafen hatte im Jahr 2017 einen Seegüterumschlag von 467,4 Millionen Tonnen.
Rotterdam liegt an einer der dichtestbefahrenen Wasserstraßen der Welt und ist im Gegensatz zu den meisten anderen Nordseehäfen von Schiffen bis 24 Meter Tiefgang anfahrbar. Wir haben die Gelegenheit genutzt und mit Emile Hoogsteden, VP Container, Massenstückgut und Logistik des Hafens Rotterdam, über die deutsche Konkurrenz, drohende Brexit-Gefahren und Chinas neue Seidenstraße gesprochen.

 

„Dort, wo es möglich ist, arbeiten wir mit anderen Häfen zusammen, beispielsweise in den Bereichen Nachhaltigkeit oder beim Thema Sicherheit. Aber dort, wo Konkurrenz gefragt ist, sind wir Konkurrenten."

Emile Hoogsteden fasst aus seiner Sicht Rotterdams Position als führenden Hafen Europas zusammen.

 

„Hinsichtlich des Brexit hoffen wir das Beste, bereiten uns aber auf das Schlimmste vor. Das Schlimmste heißt in diesem Fall ein harter Brexit ohne Deal.
Wir appellieren dringend an den privaten Sektor und die Regierungen – auf nationaler und europäischer Ebene – die notwendigen Vorbereitungen für den Brexit zu treffen. Die Uhr tickt. “

Hoogsteden betrachtet die anstehenden Veränderungen aufgrund des Brexits nüchtern und mahnt zur Vorbereitung.

Copyright Eric Bakker/Port of Rotterdam

Im ersten Halbjahr 2018 hatte der Hafen Rotterdam ein leichtes Minus von 2,2 Prozent: Während der Containerumschlag konstant anstieg, kam es durch die Stilllegung entsprechender Kraftwerke zu einem Einbruch beim Umschlag von Öl und Kohle. Zeitgleich planen Sie nächstes Jahr die Eröffnung des Offshore Center Rotterdam (OCR) – eines Wirtschafts- und Logistikpars speziell für Unternehmen, die mit Windenergiegewinnung im Meer zu tun haben. Was kann man sich darunter vorstellen und wird aus Ihrer Sicht der Umschlag von Öl bzw. Kohle künftig auf eine marginale Menge schrumpfen?

Der Hafen Rotterdam hat in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 einen Durchsatz von 232,8 Millionen Tonnen erzielt. Das sind 2,2% weniger als im ersten Halbjahr 2017. Im Gegenzug ist der Containerdurchsatz, einer der strategischen Prioritäten des Hafens, im Vergleich zum ersten Halbjahr 2017 um 5,9% (in Tonnen, 6,2% in TEU) gestiegen, einschließlich eines neuen Rekordwertes im Mai. Darüber hinaus hat sich der Marktanteil von Rotterdam im Vergleich mit anderen Häfen im Umkreis Hamburg-Le Havre von 30,9% (Q1/2017) auf 31,2% (Q1/2018) vergrößert. Ein Rückgang von Massengütern konnte vor allem bei Kohle, Rohöl und Mineralölprodukten wie Schweröl beobachtet werden. Beachtliche Wachstumssegmente waren LNG und Biomasse, wo sich die Durchsatzvolumen im Vergleichszeitraum beinahe verdoppelt haben. In der nahen Zukunft rechnen wir mit Veränderungen in den zugrundeliegenden Warenströmen, d.h. weniger Kohle und ein erhöhter Containerdurchsatz.

Hinsichtlich Offshore bietet der Hafen Rotterdam Raum für die Entwicklung von Offshore-Aktivitäten im westlichen Teil von Maasvlakte 2. Wir konzentrieren uns auf unterschiedliche Offshore-Marktaktivitäten, einschließlich Dekommissionierung von Öl- und Gas-Plattformen, Förderung der Errichtung von Offshore-Windparks, Etablierung einer großangelegten Fertigungs- und Montageindustrie sowie Umbau-, Mobilisierungs- und Demobilisierungsprojekte.

Rotterdam gilt als „Großbritanniens  einziger Hochseehafen“, an dem Ozeanriesen anlegen können, und als bedeutender Umschlagplatz für viele Güter, die über den Ärmelkanal transportiert werden. Bislang wurden die Waren ohne langwierige Zollformalitäten rasch umgeladen und direkt nach Großbritannien gebracht. Vor dem Hintergrund der schleppenden Brexit-Verhandlungen und der Gefahr eines „Hard Brexit“ würde die taggleiche Einhaltung der Lieferketten in Gefahr geraten. Wie bereitet sich der Hafen auf diese besorgniserregende Entwicklung vor?

Hinsichtlich Brexit hoffen wir das Beste, bereiten uns aber auf das Schlimmste vor. Das Schlimmste heißt dabei ein harter Brexit ohne Deal. Nach Russland ist das Vereinigte Königreich das zweitwichtigste Ursprungsland für Rotterdam in Bezug auf verschiffte Volumen. Nach Deutschland, Belgien und Russland ist das Vereinigte Königreich mit einem Durchsatz von 40 Millionen Tonnen (8,5% des Gesamtdurchsatzes von Rotterdam) das viertstärkste Land in Bezug auf Gesamtdurchsatz.

Infolge des Brexit wird es für den Hafen Rotterdam die höchste Priorität sein, die Qualität und Kapazitäten der Zollabwicklung aufrechtzuerhalten. Laut den holländischen Zollbehörden werden mit 30. März 2019 über 100 zusätzliche gut geschulte Zollbeamte in der Region Rotterdam-Rijnmond nötig sein. Die Zollabwicklung kann zu erhöhten Wartezeiten führen, wodurch sich auch die Kosten für Spediteure und Terminal-Betreiber erhöhen und es zu vermehrten Engpässen im Hafenbetrieb kommen kann. Kurzstrecken-Seeverkehrs- und RoRo-terminals rechnen damit, dass der verfügbare Halteplatz für LKWs begrenzt sein wird. Das wird eine der Haupt-Herausforderungen für den Hafen Rotterdam. Es sind kaum noch 100 Tage bis zum Brexit, dennoch hat sich nur ein sehr kleiner Teil der Unternehmen, die momentan Handel mit dem Vereinigten Königreich betreiben, ernsthaft auf diesen Umstieg vorbereitet. Das ist nicht wirklich verantwortungsvoll, denn es steht eine Menge auf dem Spiel – ganz besonders für die Niederlande, da die UK zu unseren wichtigsten Handelspartnern zählen. Wir appellieren dringend an den privaten Sektor und die Regierungen – auf nationaler und europäischer Ebene – die notwendigen Vorbereitungen für den Brexit zu treffen. Die Uhr tickt.

Sehen Sie in der langen seefahrerischen Tradition der Niederländer als erster global operierender Handelsnation einen Vorteil?

Getrieben von Weltklasse-See- und Flughäfen, einem umfassenden Straßen- und Schienennetzwerk sowie einem 100% digitalen Telekommunikationsnetz, bietet die niederländische Infrastruktur Reichweite, Geschwindigkeit und Verlässlichkeit. Mit Zugang zu 500 Millionen Konsumenten binnen 24 Stunden von Rotterdam haben Unternehmen, die sich für die Niederlande entscheiden, ein perfektes Sprungbrett zum europäischen Markt. Es überrascht daher nicht, dass die Niederlande für viele Länder als das Tor nach Europa gelten. Das wurde zuletzt auch vom „Global Logistics Guide“ anerkannt, der die Lieferketten und Logistiknetzwerke von Ländern auf der ganzen Welt ausgewertet hat. Die Niederlande erhielten im Rahmen der Studie „Inbound Logistics 2018“ für ihre solide Infrastruktur und ihr positives Geschäftsklima eine perfekte Punktezahl (10 von 10) und wurden als „Musterbeispiel für europäische Logistik-Exzellenz“ bezeichnet.

Biographie Emile Hoogsteden

 

Emile Hoogsteden begann seine Karriere bei ECT 1991 als „Commercial Manager“ am Heimterminal. Ende 1996 trat er P&O Nedlloyd bei. Emile arbeitete zunächst als „General Manager Ports & Terminals“, wobei er dafür verantwortlich war, auf globaler Ebene Hafen- und Terminalverträge auszuhandeln. Später war er als „Director Terminal Development“ für die globale Terminalstrategie und Investmentpläne von PONL zuständig. Nach der Übernahme von PONL durch Maersk trat Emile in der Unternehmenszentrale von APM Terminals International in Den Haag seine Stelle als „Director Projects & Business Development Europe“ an.

Seit 2006 arbeitet Emile für den Hafen Rotterdam, wo er derzeit als VP für Container, Massenstückgut und Logistik tätig ist.