Kontakt Flappe öffnen
Ein Gespräch mit Axel Mattern vom Hafen Hamburg

„Hier spielt die Musik!“

Der Hafen Hamburg zählt zu den bedeutendsten Seehäfen der Welt und gilt als Deutschlands größter Universalhafen und Europas Nummer 1 unter den Eisenbahnhäfen. Der an der Elbe gelegene Hafen hatte im Jahr 2018 einen Seegüterumschlag von 135,1 Millionen Tonnen. Nach der Verkündung der Zahlen des ersten Halbjahres haben wir die Gelegenheit genutzt und mit Axel Mattern, CEO von Hafen Hamburg Marketing e.V., über Vernunft in Zeiten von Handelskonflikten, die bedingte Lernfähigkeit großer Reedereien und Hamburgs Rolle als führendes China-Hub gesprochen. Erfahren Sie auch mehr über mutige aber zeitgleich teure Schritte Chinas im Mittelmeer und wo nun tatsächlich „die Musik spielt“.

 

Interviewer: Die Zahlen des ersten Halbjahres 2019 zeigten eine sehr positive Entwicklung: Neben einem sechsprozentigen Anstieg beim Seegüterumschlag auf 34,6 Millionen Tonnen, ist auch der Containerumschlag gar um 6,4% auf 2,3 Millionen TEU gestiegen. Trauen Sie sich bereits eine Prognose für das zweite Halbjahr zu geben?

Axel Mattern: Die von Ihnen genannten Umschlagzahlen des ersten Quartals geben bereits die positive Richtung für dieses Jahr vor. Auch das Ergebnis der ersten sechs Monate ist für den Hamburger Hafen ein Knaller. Ein Plus im Containerumschlag von 7,5 Prozent erreichten selbst die anderen großen Wettbewerbshäfen in der Nordrange nicht. Aber auch der Gesamtumschlag kann sich mit 69,4 Millionen Tonnen – einem Plus von 4,1 Prozent – durchaus sehen lassen. Wir sind sehr zufrieden und erwarten für dieses Jahr vor dem Hintergrund schwer abzuschätzender Auswirkungen auf den seeseitigen Welthandel, der unter dem Einfluss der zwischen den USA und China laufenden Handels- und Währungsstreitigkeiten steht, ein Gesamtwachstum im Seegüterumschlag um die vier Prozent und beim Containerumschlag ein Plus von fünf bis sechs Prozent.

Seit Jahresbeginn gibt es vier neue Liniendienste nach Nordamerika: Auf diese Weise sind die USA schlagartig auf Platz 2 beim Containerumschlag gestiegen. Könnte diese erfreuliche Steigerung auch im Kontext absehbarer wirtschaftlicher Friktionen zwischen China und den USA stehen?

Der Anstieg im Containerumschlag auf 4,7 Millionen TEU im ersten Halbjahr ist in erster Linie auf vier neue Liniendienste der THE Alliance zurückzuführen, die seit Anfang des Jahres die Hansestadt mit Häfen in den USA, Kanada und Mexiko verbinden. Insgesamt wurden im ersten Halbjahr in Hamburg 283.000 TEU im Containerverkehr mit den USA umgeschlagen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind jetzt auf den zweiten Platz der wichtigsten Handelspartner Hamburgs im Containerverkehr aufgerückt. Insgesamt 14 Liniendienste verbinden Hamburg direkt mit 29 Häfen in den USA, Mexiko und Kanada. Augenblicklich stellen wir keine Auswirkungen größeren Ausmaßes im Außenhandel mit den USA fest. Ich hoffe sehr, dass sich die beiden Wirtschaftsmächte USA und China einigen und nicht in harte Handels- und Währungskonflikte geraten. Damit würden sich diese Staaten auch selbst enormen Schaden zufügen. Ich setze da auf Vernunft.

Europas führenden Häfen stehen infrastrukturelle Veränderungen bevor und planen umfangreiche Investitionen. Ein Grund dafür sind die stetig wachsenden Schiffsgrößen – beispielsweise wurde im vergangenen Juli mit der MSC Gülsün ein Schiff mit einem Fassungsvermögen von 23.000 TEU in Dienst gestellt – welche eine große Herausforderung darstellen: bauliche Anpassungen bei Umschlagterminals, Hafentiefe & Co. Sehen Sie in dieser Entwicklung ein Ende am Horizont und ist Hamburg für all diese Entwicklungen gerüstet?

Selbstverständlich sind in Hamburg neben der Hamburg Port Authority, den Umschlagterminals und Lotsen alle an der Abfertigung von besonders großen Container- und Massengutschiffen Beteiligten heute schon sehr gut vorbereitet. Schiffe mit mehr als 20.000 TEU Stellplatzkapazität laufen Hamburg bereits an. Auch auf Containerschiffe mit einer Stellplatzkapazität von 23.000 TEU bereiten wir uns im Hafen vor, um das Anlaufen solcher Riesen in Hamburg sicher steuern zu können. Aber die Frage muss erlaubt sein, ob ein weiteres Größenwachstum in der Schifffahrt Sinn macht. Wir meinen, dass bei Schiffen mit maximal 430 Meter Länge Schluss sein sollte. Am Ende ist doch das Handling solcher Schiffe auch für die Reeder nicht mehr attraktiv. Längere Liegezeiten aufgrund der größeren Umschlagmengen und damit höhere Hafenkosten sowie die für Verlader sicher zu erwartende Reduzierung von Abfahrten sind Punkte, die bei allem Verständnis für eine möglichst hohe Transportkapazität je Schiff auch Grenzen aufzeigen.

Die Schiffahrt muss seit einiger Zeit mit einer herausfordernden Marktsituation umzugehen, weil Angebot und Nachfrage nicht korrelieren. Mit Fusionen und Allianzen versucht die Branche sich zu konsolidieren. Das dies bereits länger überfällig war, hat sich in den letzten zehn Jahren imposant bewahrheitet. Wie sehen Sie als Hafen diese Entwicklungen: Denken Sie, dass diese Phase demnächst abgeschlossen ist oder wird es in nächster Zeit weitere Übernahmen geben?

Ich denke, dass dieser Prozess der Konsolidierung noch nicht abgeschlossen ist, kann aber schwer einschätzen, was in den nächsten Jahren noch passieren wird. Grundsätzlich denke ich, dass die Reedereien die Schieflage im Markt auch zum großen Teil selbst mitherbeigeführt haben. Sich durch günstige Preise neue und größere Schiffe auf den in Fernost subventionierten Werften zu bestellen und dann zu hoffen, diese Einheiten auch mit ausreichend Ladung zu vernünftigen Preisen betreiben zu können, ist aus meiner Sicht sehr riskant. Ich frage mich bei den derzeit veröffentlichten Bestellungen von Großcontainerschiffen einiger Reedereien, ob es überhaupt in dieser Branche einen Lerneffekt gibt.

Vor einiger Zeit mehrten sich zuletzt öfters die Stimmen nach einem Zusammenschluss bzw. einer engeren Kooperation aller norddeutschen Hochseehäfen. Sehen Sie am fernen Horizont die Möglichkeit zu solch einer Bündelung der Ressourcen, mit dem Ziel Europas Nummer eins zu werden?

Wissen Sie, dieses Thema ist ein alter Hut. Wir sprechen hier über eine Bündelung der Hafenservices und vergessen, dass wir über hunderte von zum Großteil Privatunternehmen sprechen, die immer noch selbst und frei entscheiden wollen mit wem sie kooperieren. Auf den Feldern gemeinsamer Aufgaben und Herausforderungen, die zum Beispiel die Port Authorities betreffen, gibt es doch schon seit langer Zeit den Austausch und die Zusammenarbeit. Und auch im Umschlagbereich haben wir zum Beispiel mit Eurogate ein Unternehmen, dass gleich an drei Standorten Containerterminals in Deutschland betreibt. Da wo standortübergreifendes Engagement und eine Zusammenarbeit sinnvoll und wirtschaftlich ist, erfolgt sie doch bereits. Ein „VEB Deutsche Häfen“ kann doch nicht allen Ernstes die Lösung sein.

„Über die Zusammenarbeit mit cargo-partner freuen wir uns und haben großen Respekt vor der Leistungsstärke und Innovationskraft dieses Unternehmens. Bei der Zusammenarbeit mit mittelgroßen Transportdienstleistern sind die Entscheidungswege kürzer und klarer.“

Der Hafen Hamburg sieht einen Unterschied zwischen mittelgroßen Unternehmen und den großen Playern der Branche.

cargo-partner ist bereits seit 35 Jahren in der Seefracht aktiv und erachtet den Hafen Hamburg als wichtigen Partner zur Abwicklung seiner eigenen Dienstleistungen. Zudem unterstreicht cargo-partners nahegelegener Lagerstandort die Bedeutung des Hafens als sein  „Tor zur Welt“.  Wie unterscheidet sich eigentlich die Zusammenarbeit mit einem mittelgroßen Transportdienstleister wie uns und den sogenannten „Big Playern“ der Branche?

Die Frage der Unternehmensgröße und eine damit verbundene Ableitung von Bedeutung ist uns als Hafen Hamburg Marketing fremd. Wir haben in unserem Mitgliederkreis neben kleinen Familienunternehmen international agierende größere Unternehmen und denken, dass dieses Mix uns durch immer neue Fragestellungen und Anregungen sehr innovativ und erfolgreich agieren lässt. Über die Zusammenarbeit mit cargo-partner freuen wir uns und haben großen Respekt vor der Leistungsstärke und Innovationskraft dieses Unternehmens. Bei der Zusammenarbeit mit mittelgroßen Transportdienstleistern sind die Entscheidungswege kürzer und klarer. Entscheidungsträger sitzen oftmalig vor Ort und ermöglichen den persönlichen Austausch. Eine gute Voraussetzung für langjährige stabile Partnerschaften.

Die internationale Schifffahrt muss sich ab 1. Januar 2020 aufgrund verschärfter Umweltbestimmungen der International Maritime Organization umstellen: Auf hoher See darf nur noch Treibstoff mit einem Schwefelgehalt von 0,5 statt wie bisher 3,5 verbrannt werden. Alternativ müssen die Abgase mit  sogenannten "Scrubbern" vom Schwefel gereinigt werden. Wie steht der Hafen Hamburg dieser umweltfreundlichen Maßnahme gegenüber und sehen Sie in LNG (Liquified Natural Gas) eine dauerhafte Alternative? Würde ein gesteigerter Bedarf an LNG-Terminals für Sie eine infrastrukturelle Herausforderung darstellen?

Zunächst ist doch unter Klimaschutzgesichtspunkten die neue Schwefelobergrenze ein weiterer Schritt in Richtung Ausstieg aus dem Schweröl herkömmlicher Art. Das ist von der Schifffahrt und Hafenwirtschaft ganz und gar akzeptiert. Der Hamburger Hafen ist heute schon in der Lage, Schiffe durch Landstromversorgung und LNG sowie mobilen Power Units, die im Hafen auf das Schiff gesetzt werden, umweltfreundlich zu versorgen. Die Pläne zum Bau von LNG Lager- und Umschlaganlagen sind in der Metropolregion Hamburg auf dem Tisch. Gleich vor der Haustür Hamburgs bietet der Elbehafen Brunsbüttel durch die dort ansässige chemische Industrie aus meiner Sicht sehr gute Voraussetzungen. Warten wir ab, was am Ende Investoren und Politik entscheiden.

Als Exportnation investiert China massiv in die „New Silk Road“ und möchte vor allem mit transasiatischen Transportkorridoren eine Alternative zu den längeren Transportwegen per Containerschiff anbieten. Könnte sich diese Entwicklung als Herausforderung herausstellen oder ist Hamburgs Hinterlandanbindung mit wöchentlich 2.100 Containerzugverbindungen sogar ein großer Vorteil?

Lassen Sie mich zunächst die Größenverhältnisse im Verkehr mit China darlegen. Hamburg schlägt jedes Jahr mehr als 2,6 Millionen Container an der Kaikante um. Mehr als ein Dutzend Liniendienste verbinden Hamburg mit allen wichtigen chinesischen Häfen. Hier spielt die Musik. Der landseitige Hinterlandverkehr ist mit den rund 120.000 TEU, die im vergangenen Jahr per Eisenbahn in Hamburg aus China ankamen oder dorthin auf die Reise gingen, vor diesem Hintergrund ein eher kleiner Bereich. Diese Verkehre auf der Schiene sind für zeitkritische Produkte interessant, die sonst sehr kostenintensiv z.B. per Luftfracht versendet wurden. Hamburgs Vorteil ist, dass Deutschlands größter Universalhafen die direkten Verbindungen per Seeschiff mit China hat und gleichzeitig auch Europas größter Eisenbahnhafen ist. Für Güter aus China oder Exporte nach China bietet Hamburg alle Verkehrsträger in großer Auswahl und Frequenz. Ich kann da für Hamburg nur Vorteile sehen, die es ermöglichen die führende Rolle als China Hub in Deutschland weiter auszubauen.

Neben der Forcierung des transasiatischen Zugverkehrs hat China auch den Hafen Piräus übernommen, ausgebaut und zeitgleich die neue Bahnstrecke über den Balkan nach Zentraleuropa finanziert. Zeitgleich können die Südhäfen Koper sowie Triest ihren Umschlag stetig steigern. Hat Hamburg im Hinblick auf manche Regionen Europas unter Umständen einen nachhaltigen geographischen Nachteil?

Zum chinesischen Investment in Piräus kann ich nur sagen, dass dies eine sehr mutige und für die Chinesen auch teure Entscheidung war. Die Zeit wird zeigen, ob sich das am Ende rechnet. Der geografische Nachteil ist so eine Sache. Wenn via Hamburg z.B. mehr als ein Dutzend Liniendienste Verbindungen zu chinesischen Häfen angeboten werden und in einem Mittelmeerhafen vielleicht nur ein Dienst mit einer Abfahrt pro Woche abgefertigt wird, dann ist für den Verlader unter Umständen der Seeweg via Hamburg schneller und unter Kostengesichtspunkten günstiger. Und unter den zahlreichen Anbietern findet er in Hamburg dann auch für den Hinterlandverkehr einen leistungsfähigen Operator. Hinzu kommt der Service rund um die Ware, der an einem Logistik Hub wie Hamburg für alle Anforderungen höchste Qualität garantiert. Damit will ich sagen, dass die reine Entfernung allein kein Entscheidungskriterium bei der Organisation leistungsfähiger Transportketten sein sollte.

Die Digitalisierung bietet ungeahnte Chancen und durchdringt immer mehr Geschäftsbereiche, so auch in der Transportbranche. Wie beurteilen Sie diese Entwicklungen und welche Strategien verfolgt der Hafen Hamburg auf diesem Feld? Sehen Sie den Hafen - als Deutschlands größtes zusammenhängendes Industriegebiet - in der Implementierung digitaler Technologien „auf Kurs“?

Hamburg ist im Bereich Digitalisierung Vorreiter. Autonom fahrende Fahrzeuge auf der Straße, Unterwasserdrohnen, eine papierlose Zollabwicklung – die Zukunft ist in Hamburg bereits angekommen. Schon heute ist der Verkehr im Hafen auf der Schiene, Wasser und Straße digital gesteuert. 5G setzt neue Maßstäbe in der Vernetzung der Infrastruktur und der an Verkehrsprozessen beteiligten Player. Die HHLA- größter Terminalbetreiber im Hafen- beteiligt sich am Startup Hyperloop, um neue Technologien im Containertransport zu erforschen. Hamburg gibt somit in vielen Bereichen den Kurs vor oder trägt konsequent zur Kursfindung und Kursbestimmung bei.

Sehen Sie in der langen Seehandels-Tradition der Hansestadt einen Vorteil? Erkennen Sie einen Vorteil aufgrund der Mentalität?

Ja, weil sich der Hamburger Hafen in seiner mehr als 800-jährigen Geschichte immer wieder neu erfinden und neuen Herausforderungen stellen musste. Da entwickelt sich an einem Standort und in der gesamten Region eine ganz besondere Stärke und Innovationskraft. Wenn uns politische Entscheidungen weiterhin diese Entfaltungsmöglichkeiten lassen und für entsprechend gute Rahmenbedingungen sorgen, dann mache ich mir um die Zukunft des Hafen- und Logistikstandorts Hamburg keine Sorgen.

Neues Rekordschiff: Ozeanriese MSC Gülsün fasst annähernd 24.000 TEUs

 

Die „MSC Gülsün“, das aktuell größte Containerschiff der Welt, wurde am 4. Juli 2019 nach etwa dreijähriger Bauzeit vom Auftraggeber Mediterranean Shipping Company (MSC) in Dienst gestellt und in den Linienbetrieb (Silk-Service) zwischen Asien und Europa übernommen worden. Der Neubau übertrifft den bisherigen Rekordhalter und überzeugt mit seinen imposanten Ausmaßen: 399,9 Meter lang, 61,55 Meter breit. Das Schiff weist bei Vollauslastung eine Transportkapazität von 23.756 TEU auf.